Nicht erst seit das BILDblog regelmäßig auf die Beiträge in Sidan Arslans Blog-Kategorie Sport-Bild-Watch [Link leider tot] verlinkt, dürfte El Fútbol [Link leider tot] dem geneigten Mitinsassen des deutschsprachigen Fußballblogosquariums bekannt sein.
[photopress:halbmond_adidas_1.jpg,full,alignleft] Das folgende Gespräch mit Sidan Arslan, dem Betreiber von El Fútbol [Link leider tot], beschäftigt sich allerdings nicht mit dessen recht international ausgerichtetem Blog. Sondern mit der Thematik, wie man als Fan des türkischen Fußballs ob Nationalelf oder eine der Klubmannschaften in Deutschland zurecht kommt, wie man überhaupt erst ein solcher Fan wird und wie sich solch eine Fernbeziehung anfühlt.
Hallo Sidan, schön, dass Du Zeit für ein Gespräch hast. In medias res: Ich muss zugeben, ich bin zwar mit Fans von Galatasaray, Fenerbahçe und Beşiktaş aufgewachsen, aber erstens habe ich damals noch nicht gebloggt, und zweitens war alleine schon der Schlachtruf „Cim-Bomm-Bomm, Galatasaray!“ nie frei von einer gewissen Exotik. Einer Exotik, muss ich ebenso zugeben, die durchaus belächelt wurde. Weshalb man sich auch nicht für diese Exotik interessierte. In den 1980ern hielt man bei uns grundsätzlich nicht viel vom türkischen Fußball und wusste gleichzeitig auch nicht viel über ihn.
Das hat sich zwar beides geändert, aber in Bezug auf die Fanszene der türkischen Vereine in Deutschland tut sich bei mir eigentlich immer noch nur ein großes, leeres Nichts auf. Deshalb möchte ich Dich bitten, mich ein wenig aufzuklären. Dazu gehört natürlich zunächst einmal die Frage, wie Du selbst zum Fußball gekommen bist. Zum Fußball an sich, aber auch zu welchem türkischen Verein Du hältst und wie Du für diesen Verein sozialisiert wurdest.
Fußball gehört für mich von Anfang an, also von früher Kindheit, einfach dazu. Das sehr große Interesse war immer schon da, ohne dass ich es recht erklären könnte. Dafür kann ich mit der Anekdote dienen, dass meine Eltern damals die Gewohnheit hatten, jedem Gast davon zu erzählen, dass ich morgens nach dem Aufstehen schon auf dem Weg ins Bad einen Ball am Fuß hatte … Mag sich nach einer erfundenen Anekdote für eine Profikicker-Homepage anhören, war aber so. Aus frühester Kindheit stammt auch meine Leidenschaft für Galatasaray, für die mein Onkel verantwortlich ist. Immer wenn ich bei ihm zu Besuch war und mit meinem Cousin spielte, saß er nämlich am Fernseher und schaute sich die damals noch frei empfangbaren türkischen Ligaspiele an, mit fanatischem Schreien, lautem Fluchen und spontanen Jubeltänzen. Galatasaray waren immer die Guten, alle anderen immer die Bösen. Wir zwei haben das dann so übernommen.
Gibt es überhaupt eine nennenswerte Zahl an männlichen türkischstämmigen in Deutschland, die sich nicht für Fußball interessiert? Falls ja, welcher andere Sport ist für diese, falls vorhanden, relevant? Und die, die Fußballfans sind, würdest Du sagen, sie setzen alle eine Familientradition fort, oder gibt es auch Ausreißer aus dieser Familientradition?
Es gibt sie, ja, aber die Zahl ist sehr gering. Die, die nichts mit Fußball am Hut haben wollen, tun das aber nicht, weil ihnen ein anderer Sport wichtiger wäre, sondern aus einem generellen Desinteresse am Sport. Fußball ist die absolute Nummer Eins und das noch unangefochtener, als ich das von meinen deutschen Mitmenschen kenne. An zweiter Stelle kommt irgendwann Basketball, für das sich der eine oder andere aufgrund der recht guten Liga in der Türkei interessiert, danach kommt lange Zeit gar nichts.
Zur Familiensache: das ist bei uns sehr stark verankert, ja. Der eingangs erwähnte Cousin hat nun einen knapp drei Jahre alten Sohn, der in einem in den Vereinsfarben von Gala gestrichenen Zimmer aufwächst und die von den Fans für den Verein benutzte Bezeichnung „Cimbom“ schon jetzt fest zu seinem noch frischen Wortschatz zählt und allen Bekannten vorführen muss. Außerdem wurde er nach Arda Turan, dem Star und Kapitän der Mannschaft benannt. Dem Kleinen wird also wohl nicht viel anderes übrig bleiben, als die Gala-Fackel weiterzutragen.
Korrigiere mich, wenn ich mich irre, aber stammen nicht die meisten in Deutschland lebenden Türken aus dem Osten des Landes? Wie kommt es, dass trotzdem beinahe alle nur auf Fenerbahçe, Besiktas und Galatasaray stehen? In meiner ganzen Zeit hier im Ruhrgebiet habe ich einen einzigen Türken kennengelernt, der Fan von Trabzonspor war. Alle anderen entfielen auf die großen Drei. Ist das das „Bayern-Phänomen“, sind das alles Erfolgsfans, bzw. Fans, die nur erfolgreiche Teams mögen?
[photopress:tuerk_telekom.jpg,full,alignleft] Mit dem Bayern-Phänomen ist es in soweit vergleichbar, dass der Grund für die Dominanz der Istanbuler Vereine bei den Fans ihren Ursprung ebenso im sportlichen Erfolg in den letzten Jahrzehnten hat. Einen großen Unterschied gibt es aber zur Bayern-Erklärung: bevor es das Internet gab, bestand die türkische Liga für die Leute hier eigentlich nur aus den drei Großen plus vielleicht eben noch Trabzon, das war’s. Von den anderen bekam man gar nichts mit, denn die spielten sportlich keine Rolle und wurden damals auch in den wenigen verfügbaren Quellen, die man hier in Deutschland für türkischen Fußball hatte (Fernsehsendungen und türkische Tageszeitungen) absolut keine Rolle. Die Großen bildeten jahrzehntelang schon fast eine eigene Liga in der Liga, die Kleinen holten sich lange Zeit einfach nur ihre Klatschen in Istanbul ab und fuhren wieder heim.
Heute ist das ja nun nicht mehr so ganz krass, und mit Bursa wurde letzte Saison zum ersten Mal seit 1983 ein anatolischer Verein Meister. Doch aufgrund dieser drückenden Überlegenheit sowohl im Sportlichen als auch in der öffentlichen Wahrnehmung stellte sich auch mir beispielsweise damals gar nicht die Frage, ob ich vielleicht zu einem der Kleinen halten solle, denn bis auf die Vereinsnamen und ihr Dasein als Punktelieferant für die Istanbuler Teams kannte ich sie gar nicht.
Auch wenn ich mir vielleicht widerspreche: Von drei Klubs kann ja immer nur einer Meister werden. Zwei der großen Drei scheitern also pro Jahr. Auch international bildet der UEFA-Cup-Sieg von Galatasaray aus dem Jahr 2000 auch inzwischen schon 11 Jahre her die einzige Ausnahme vom Scheitern. Gibt es diese bei vielen Anhängern deutscher Klubs tief verwurzelte Kultur des Scheiterns auch bei den Fans der türkischen Klubs in Deutschland?
Oh ja. Der größte Nachteil des Daseins als Anhänger eines türkischen Vereins, der in Deutschland aufwächst und lebt, ist gleichzeitig auch ein ziemlich gesunder Vorteil: die große Distanz zum Geschehen. Denn dadurch, dass man hier hautnah die Bundesliga und ihre Entwicklung mitbekommt und direkt mit dem Geschehen in der Türkei vergleichen kann, fallen einem die Unterschiede, die vielen Verbesserungsmöglichkeiten und am Ende auch die Unterlegenheit der türkischen Liga auf. Ein gutes Beispiel ist die Jugendarbeit, die in Deutschland um die Jahrtausendwende eingeleitet wurde und deren Früchte nun geerntet werden.
Von solchen Verhältnissen kann man im Hinblick auf die Türkei, sei es auf Vereins- oder nationaler Ebene, nur träumen. Diese und weitere Versäumnisse führen dann zum von Dir angesprochenen fehlenden Erfolg im internationalen Vereinsfußball. Das wird von den Fans hierzulande registriert und stark kritisiert. Das Schlimmste daran ist wohl, dass man in den letzten Jahren eigentlich davon ausging, bald einen Schritt nach vorne zu machen. Die Infrastruktur hat sich gebessert, es werden neue Stadien gebaut, der TV-Vertrag spuckt mit 321 Millionen Dollar die fünftmeisten im europäischen Fußball aus.
Trotzdem herrscht Stagnation und man ist im Vergleich zu früher noch keinen Schritt weiter, wenn man beispielsweise sieht, wie der aktuelle Meister diese Saison in der Champions League verhauen und dementsprechend belächelt wurde. Das schmerzt schon.
Wie fühlt es sich denn an, Fan eines Team zu sein, das ein paar Tausend Kilometer entfernt spielt, dessen Partien man so gut wie nie live besuchen kann? Gibt es da öfter mal Klagen bezüglich dieser Frage oder ein gewisses Selbstmitleid? Klar, viele Fußballfans in Deutschland gehen auch nie ins Stadion, aber sie könnten es mühelos, wenn sie wollten.
Man findet sich damit ab. Natürlich ist es keine Idealsituation, aber wie schon angesprochen, hat sich das Fansein bzw. die Versorgung an Informationen durch die Entwicklung der Medien natürlich deutlich verbessert. Was nicht heißt, dass die große Entfernung niemanden stört, doch man kennt es eben nicht anders und hat sich daran gewöhnt. So wie die meisten Verwandten in der Türkei leben und man mit der räumlichen Distanz zu ihnen aufgewachsen ist und umzugehen gelernt hat, so ist es auch mit der Entfernung zum Lieblingsverein.
Der türkische Verband nutzt die große Zahl an türkischstämmigen Menschen in Deutschland ja auch immer wieder dazu, hier Spiele zwischen türkischen Mannschaften in der Sommerpause auszurichten. Das ist immer ein schöner Trost, der dann auch immer zahlreich und leidenschaftlich genutzt wird. Bereits zweimal wurde der Supercup hier ausgespielt, vor dieser Saison gab es in Mönchengladbach sogar das große Derby Gala Fener. Der Supercup 2008 fand übrigens in Duisburg statt, das hättest du nicht verpassen dürfen, Trainer.
Ich sag mal ehrlich, das wäre mir wahrscheinlich zu heiß gewesen … Aber wenn der Verein des Herzens so weit weg ist, hat man dann auch einen „Zweitverein“ in der Bundesliga? Wie ist es bei Dir und wie schätzt Du den Anteil bei den sonstigen Fans ein? Natürlich kannst Du das nur aus Deinem Umfeld beurteilen, aber ist es da genauso bunt gemischt, was die deutschen Klubs angeht oder gibt es dort auch klare Favoriten?
Bei mir persönlich lief das mit dem Zweitverein ziemlich seltsam ab. In meiner Kindheit war ich leidenschaftlicher Bayern-Fan, mit Postern an der Wand, Tränen bei der Tragödie in Barcelona, allem Drum und Dran also. Mit den Jahren hat sich das aber komischerweise gelegt und inzwischen sind mir die Bayern ziemlich gleichgültig. Ich kann mir das eigentlich selber nicht genau erklären, es wird wohl das klassische Haben-uns-auseinandergelebt-Syndrom sein.
[photopress:galatasaray_trikots.jpg,full,alignright] Auch in der restlichen Bundesliga gibt es keinen Verein, mit dem ich mich identifiziere oder dem ich die Daumen drücken würde, was aber nicht auf fehlendes Interesse an der Bundesliga schließen lassen soll. Ich verfolge sie genau und schaue mir jeden Spieltag an, doch eben mit einer gewissen Distanz. Auch allgemein betrachtet ist das Phänomen Zweitverein in der Bundesliga meiner Erfahrung nach bei den türkischstämmigen Fußballfans sehr selten. Bei uns in der Gegend würde sich da beispielsweise der VfB Stuttgart als Daumendrückkandidat anbieten, doch in meinem türkischen Bekanntenkreis fällt mir keiner ein, der auch nur einmal ein erhöhtes Interesse für den Verein ausgedrückt hätte.
Doch wie Du schon sagst, ist es bei diesem Thema schwer, die generelle Situation zu beurteilten. Ein guter Kumpel von mir hat beispielsweise mal ein Gladbach-Trikot in der Bravo-Sport gewonnen und ist seitdem Hardcore-Gladbach-Fan. Auch wenn solche Gegenbeweise selten sind, bin ich mir sicher, dass es sie quer über Deutschland verteilt doch hin und wieder gibt.
In Bezug auf den internationalen Fußball muss man auch noch auf die Rivalität der türkischen Anhänger mit den englischen zu sprechen kommen, die erschreckende Ausmaße angenommen hat. Häufig kommt es zu Messerattacken auf Fans. Wie nah geht den türkischen Fans in Deutschland eine solche Rivalität? Wird sie auch gelebt?
Schwierige Frage. Schwieriges Thema. Die Sache mit den Engländern ist ziemlich hässlich und hat im Jahr 2000 in Istanbul angefangen, als zwei Leeds-Anhänger vor dem UEFA-Cup-Halbfinale umgebracht wurden. Wie diese Tat von damals und die daraus entstandene Rivalität mit den englischen Fans von den Türken in Deutschland bewertet werden, wird man nicht mit einer generellen Antwort erklären können.
Ich habe jedenfalls oft genug die Ansicht gehört, die besagt, das die Landesflagge den Türken heilig sei und wer sie mitten in Istanbul verbrenne und sich den Hintern damit abputze (so ist es überliefert, ob es so war, weiß ich nicht), nun mal so eine Reaktion provoziere. Ich hüte mich davor, meine Landsmänner über einen Kamm zu scheren und als ignoranten Haufen darzustellen, trotzdem befürchte ich aber, dass diese Ansicht vielleicht sogar überwiegt, nach dem Motto, „die haben es doch nicht anders verdient.“
Gelebt im eigentlichen Sinne wird diese spezielle Rivalität aber eher kaum, weil die wenigsten bei den seltenen Aufeinandertreffen mit englischen Mannschaften vor Ort sind.
Anders ist es bei der Rivalität der Istanbuler Vereine, denn zu den dortigen Derbies reisen gewöhnlich recht viele Fans aus Deutschland. Ich selber war einmal in Istanbul, als das Derby zwischen Galatasaray und Fenerbahce stattfand. Ich war zwar nicht im Stadion, sondern zog mit Cousins und anderen Gala-Fans durch die Stadt, um mir mal die Derby-Atmosphäre aus nächster Nähe reinzuziehen. Der Tag war mit das Heftigste, Chaotischste, das ich je erlebt habe. Im Bus wurden alle Fenster eingeschlagen, damit die Bengalos rausgehalten werden konnten, Autos mit Wimpel der anderen Mannschaft wurden kurzerhand demoliert, die vom anderen Ende des Bosporus angereisten Fener-Fans wurden mit Steinen am Hafen empfangen, Polizisten und Notfallwagen überall. Wenn ein Mob in den feindlichen Farben gesichtet wurde, ging es erst richtig ab.
Auch wenn dieser gesamte Tag schon sehr aufregend war, muss ich persönlich sagen, dass mir das alles in der gesehenen Intensität doch zu viel und etwas fremd erschien. Ob das aber daran lag, dass ich in Deutschland aufgewachsen bin, oder eher daran, dass ich generell nicht so Bock auf Stress und Eskalation habe, weiß ich nicht.
Wenn wir schon beim internationalen Fußball sind: Auswärtsspiele der türkischen Nationalmannschaft in Deutschland, und ich glaube auch in anderen europäischen Ländern, werden häufig zu Heimspielen gemacht, durch die große Zahl und die große Leidenschaft der türkischen Fans. Wie steht es in dem Konflikt, sofern das überhaupt einer ist, zwischen Liebe zum Klub und zur Nationalmannschaft bei den Fans in Deutschland? Welche ist größer, welche ist wichtiger? Sind dann plötzlich Galatasaray- und Fenerbahçe-Fans ein Herz und eine Seele?
[photopress:loewe_galatasaray_spardose.jpg,full,alignright] Kann sein, dass das früher anders war, aber es gibt da eigentlich keinen großen Konflikt, sowohl in der Türkei als auch bei den Leuten hier in Deutschland. Die Nationalmannschaft ist den meisten Türken heilig, und bei ihrer Betrachtung findet kein Konkurrenzdenken statt. Ein Faktor ist dabei sicherlich die veränderte Kaderzusammenstellung im Gegensatz zu früher. Denn bis vor kurzem bestand die Nationalmannschaft fast nur aus Spielern der Istanbuler Vereine und aus dem Ausland. Die Spieler der kleinen Teams in der Türkei wurden aufgrund der sportlichen Unterlegenheit und der fehlenden Lobby gar nicht beachtet.
Mit der Verbesserung der anatolischen Mannschaften und vor allem durch die Verpflichtung von Guus Hiddink hat sich das nun geändert, der Kader ist vielschichtig besetzt, und damit bleibt auch nicht viel Raum für das Übertragen der Rivalität der Vereine auf die Nationalmannschaft.
Das leidige Thema Integration, das man hier eigentlich in Bezug auf Fußball nicht mehr hören kann: Wie steht es um die Toleranz gegenüber türkischstämmigen Spielern, die sich für die deutsche Nationalmannschaft entscheiden? Bei den Fans in Deutschland, meine ich. Und wenn, wie bei der EM 2008 geschehen, Deutschland die Türkei ausschaltet oder diese gar nicht erst qualifiziert ist wie bei der WM 2010, hält man dann als türkischer Fußballfan in Deutschland wirklich zu der deutschen Mannschaft, oder gibt es da andere Motive, wie Höflichkeit, Mitfeiern wollen oder Teilhabe am eventuellen Erfolg? Entschuldige bitte, falls das nach einer bösartigen Unterstellung klingt, ich kann es wirklich nicht beurteilen, und bin da völlig unbeleckt.
Auch hier wird man mit einer allgemeinen Aussage der Situation nicht gerecht, denn ich habe sowohl bei der Bewertung der türkischstämmigen Spieler in der Nationalmannschaft als auch beim Standpunkt zur deutschen Mannschaft während der Großturniere die ganze Palette an Reaktionen bei meinen Landsmännern erlebt. Da ist alles vertreten, vom überpatriotischen Teenie, der ein „Vaterlandsverräter“-Video über Özil oder Taşçı bei Youtube hochlädt, bis zum Familienoberhaupt, das sich aufrichtig mit der deutschen Mannschaft freut und gleichzeitig auf die türkischstämmigen Spieler stolz ist und ihre Entscheidung völlig akzeptiert.
Vom Gefühl und von der Betrachtung meines eigenen Umfelds her muss ich aber sagen, dass die Distanz zur deutschen Mannschaft überwiegt. Es gibt zwar genügend Leute, die sich ein Deutschland-Trikot anziehen und mit schwarz-rot-goldenen Backen zum Public Viewing und auf die Straßen gehen, von den meisten anderen Türken werden diese aber ziemlich belächelt. Das ist nicht gut, aber in den meisten Fällen ist es leider so.
Ich selber bin da auch ehrlich und stehe dazu, dass ich nicht besonders mit der deutschen Nationalmannschaft mitfiebere, unabhängig davon, ob die Türkei im jeweiligen Turnier vertreten ist oder nicht. Irgendeine Art der Abneigung oder das Verurteilen der Entscheidung von Özil, Taşçı, Gündoğan und Co. liegt mir aber völlig fern. Und wenn ich genau darüber nachdenke, kommt mir meine völlig distanzierte Haltung selber ein wenig seltsam vor, schließlich habe ich mein ganzes bisheriges Leben hier verbracht.
Diese Integration und Anpassung an einen deutschen oder sagen wir vielleicht besser mitteleuropäischen Lebensstil wird in manchen Lebensbereichen immer stärker. Wie nah liegt die Möglichkeit Deiner Einschätzung nach, dass man als türkischstämmiger Fußballfan in Deutschland aufwächst und nur noch einen deutschen Lieblingsverein hat?
Die Möglichkeit sehe ich auf absehbare Zeit nicht. Bei aller Integration und Anpassung sind die Heimatverbundenheit und die emotionale Nähe zu der Türkei bei uns sehr stark ausgeprägt, und es wird alles dafür getan, um den Kontakt, egal in welcher Form, mit dem Land aufrechtzuerhalten. Neben dem Verfolgen der Politik, dem Schauen türkischer Fernsehserien und dem Hören der türkischen Musik ist der Fußball dafür nun mal eines der Hauptmittel dafür, vor allem für männliche, jüngere Türken bzw. Deutschtürken. Dazu kommt dann noch die eingangs erwähnte, gängige Familientradition, nach der dem Sohnemann von Klein auf das Fansein der türkischen Lieblingsmannschaft des Vaters eingetrichtert wird. Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dass jeder türkischstämmige Fußballfan auch in Zukunft in erster Linie einem türkischen Klub die Daumen drücken wird.
Noch mal zurück zu den türkischen Klubs: Welche sind denn neben den großen Dreien noch in der Gunst der türkischstämmigen Deutschen weit oben? Und was sind dann die Gründe dafür?
Bei uns Türken gibt es im Miteinander eine ungeschriebene, ganz gängige Regel: Sobald man einen anderen neu kennen lernt, fällt innerhalb der ersten fünf Minuten garantiert die Frage: „Aus welcher Stadt stammst du?“ Der Heimatort in der Türkei ist eine ganz elementare Information über und für jeden Türken, deshalb ist auch so gut wie bei jedem eine hohe Identifikation mit dem Ort vorhanden. Auf den Fußball übertragen bedeutet das dann, dass jeder zwar in erster Linie Anhänger einer der großen Klubs ist, an zweiter Stelle aber der Mannschaft seiner Heimatstadt die Daumen drückt und ihre Entwicklung, mal genauer, mal unregelmäßiger verfolgt. Und das völlig unabhängig davon, in welcher Liga die Mannschaft kickt.
Die Vielzahl der deutschen Trainer in der Türkei hat sicher eine besondere Verbundenheit mit dem deutschen Fußball wachsen lassen. Gleichzeitig feuert man kaum irgendwo mit solcher Inbrunst erfolglose Trainer wie in der Türkei so das Klischee. Wie stark beeinflusst die Frage von Erfolg und Misserfolg den Respekt oder die Liebe zu deutschen Trainern. Spielt die Nationalität dabei überhaupt eine Rolle? Gibt es einen emotionalen Bonus für Trainer aus Deutschland bei den Fans hier meine ich, nicht in der Türkei.
[photopress:screenshot_el_futbol.jpg,full,alignleft] Auch dabei spielt die räumliche Nähe zur Bundesliga eine Rolle. Wer hier in Deutschland lebt und den Fußball verfolgt, der weiß, ganz unabhängig von der Nationalität, dass die türkische Liga für jeden ambitionierten und erfolgreichen Trainer aus Deutschland bestenfalls der Plan C ist. Ein Robin Dutt würde zurzeit niemals in der Süper Lig landen können, einen Peter Neururer könnte man aber wohl ohne größere Probleme vermitteln. Der hat vor paar Jahren mal ein paar Siege in der Bundesliga eingefahren, lasst uns den verpflichten! Die Istanbuler Vereine besitzen zwar ein gewisses Prestige und stellen dabei schon eine Ausnahme dar, da sie auch für größere Namen doch ganz lukrativ erscheinen können, doch wenn ein deutscher Trainer zu einem kleineren, türkischen Verein geht, dann tut er das, weil er in der Bundesliga keine Perspektive hat. Da braucht man sich ja nichts vorzumachen. Und das tut man als türkischer Fan hier in Deutschland eben aufgrund der Nähe zum Geschehen weniger als die Landsmänner in der Heimat, wo jeder deutsche Trainer als potenzieller Heilsbringer gilt, seit der heute noch tief verehrte Jupp Derwall in den achtziger Jahren Galatasaray modernisiert und nach langer Durststrecke zu zwei Meistertiteln geführt hat.
Gibt es eine türkische Fußball-Community in Deutschland, die in irgendeiner Form organisiert ist?
Yes. Es gibt mehrere Fangruppierungen meistens natürlich von den drei Großen, aber auch ein paar kleinere Teams sind vertreten die sich zu eingetragenen Vereinen zusammengeschlossen haben, sich sozial engagieren und auf mehrere Großstädte quer durch Deutschland verteilt sind. Fenerbahçe ist beispielsweise meines Wissens in zehn Städten vertreten, und wie ich mir gerade zusammengegoogelt habe, hat der Verein „Fenerbahçe-Koblenz“ ca. 130 Mitglieder. Ich selber habe so einen Fanclub oder deren Vereinsdaheim noch nie von innen gesehen und kenne auch niemanden, der darin involviert ist.
Was magst Du daran, Fans eines türkischen Klubs zu sein, welche Aspekte würdest Du gerne ändern?
Bei der vorherigen Frage nach dem Selbstmitleid aufgrund der großen Entfernung zum Lieblingsverein hab ich zwar den Coolen rausgelassen, von wegen man fände sich damit ab usw., doch natürlich wünscht man sich schon ab und zu, dass man in der Nähe seines Vereins wohnen und nach Lust und Laune ins Stadion gehen könnte. Ändern würde ich ansonsten am allerliebsten, dass Galatasaray genau wie alle anderen türkischen Vereine international aktuell absolut nichts zu melden hat.
Ansonsten bin ich aber recht zufrieden. Ich mag die Intensität des türkischen Fußballs, und so fremd sie mir selber hin und wieder in ihren Ausbrüchen erscheinen mag, bewundere ich immer wieder die extreme und bedingungslose Identifikation der Anhänger türkischer Vereine. Auch wenn ich jetzt ein Klischee auspacken muss, aber: Für die Leute in der Türkei ist Fußball eine Religion. Und das gefällt mir.
Und abschließend: Kennst Du weitere Blogs in Deutschland von türkischstämmigen Fußballliebhabern?
Da fällt mir außer fehlpass.com kein aktiver Blog ein, leider. Dabei glaube ich, dass ein anständig geführter Blog über einen der Großen in der Türkei oder, noch besser, über den gesamten türkischen Fußball, recht gute Aussichten auf Erfolg und Aufmerksamkeit hätte.
Vielen Dank für Deine erhellenden Antworten, Sidan.
Danke auch, Trainer, hat Spaß gemacht!
[…] Heraus kam dieses Interview. […]
Herzlichen Dank für dieses Interview!
Die gerne beschworene islamistische Beschwörung verkümmert im passiven Abseits…
Sehr schön, aber ein wenig langatmig
Danke für die Rückmeldung.
Ich finde den Trade-off zwischen Nutzung der zur Verfügung stehenden unbegrenzten Länge und dem vorhandenen Gebot einer aus Gründen der Lesbarkeit angemessenen Straffung immer schwierig, hier habe ich mich offensichtlich eher für den ersten Aspekt entschieden.
In der Tat etwas lang geraten, aber bei einem solch schönen und interessanten Gespräch zwischen zwei kompetent-kreativen Bloggern liest man auch gerne etwas mehr als sonst.
Würde ich mir öfter wünschen …
„Meine“ Spätverkaufer-Familie hängt jeweils Gala, Besiktas und Fehener an. Scheint zu funktionieren.
Achja: leider zu kurz, der Artikel!
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[…] Türkischer Fußballfan in Deutschland sein Zwei großartige Blogger treffen aufeinander: Trainer Baade unterhielt sich mit Sidan (El Futbol) darüber, wie es ist, in Deutschland türkischer Fußballfan zu sein. […]
[…] mit großer Freude zur Kenntnis genommen habe, befindet sich unter den nominierten Beiträgen auch diese Co-Produktion von Trainer Baade und mir. Hier kann man sich die Wahl und alle Nominierten ansehen. Auch bei Spox.com sind alle Texte noch […]
[…] Sie bitte hier weiter. Teilen Sie dies mit:TwitterFacebookE-MailGefällt mir:LikeSei der Erste, dem dieser post […]
[…] „Heil“ durch Spiegel Online bei gleichzeitigem Wegschauen bezüglich anderer Probleme, um das Sein als türkischer Fußballfan in Deutschland, um die Fanforderung nach Konzepten, um […]
Hab gerade nach langer Zeit mal wieder mehr oder weniger hoffnungsvoll El-Fútbol.de aufgerufen und feststellen müssen, dass die Seiten inzwischen auch vom Server verschwunden sind.
Weiß eigentlich jemand hier, ob und wann es von Sidan mal wieder was zu lesen gibt?
Hallo Thomas,
ich war einige Zeit in der Türkei und habe gewisse Deadlines verstreichen lassen, sodass ich die Domain vor kurzem leider verloren habe.
Unabhängig davon, ob ich unter der Adresse in Zukunft noch einmal aktiv werden würde oder nicht, hätte ich den Blog und die Domain ganz gerne wiederhergestellt, weiß aber im Moment noch nicht, inwiefern das möglich ist. Die Kommunikation mit den Zuständigen gibt da aktuell leider wenig her.
Danke jedenfalls für dein Interesse. Machen wir es doch so, dass ich per Twitter (twitter.com/Sidan21) bzw. auf der noch bestehenden Facebookseite verkünde, falls und wo und wann ich irgendetwas veröffentliche.
Schöner Zufall, dass du unter dem anderen Beitrag kommentiert hast, meine Nachfrage wäre ansonsten wahrscheinlich untergegangen. Kann schnell passieren, wenn man während der heißen Phase eines Schwarmintelligenz-Beitrags alte Beiträge hochholt… :)
Würde mich jedenfalls freuen, wenn du wieder bloggen oder sonstwie schreiben würdest. Könnte mir auch vorstellen, dass man in diesem Fall auf des Trainers Seiten recht schnell davon erfahren würde.