Heute über Miroslav Klose zu schreiben bedeutet selbstredend, die Kirche im Dorf lassen zu müssen, wie er es angenehmerweise als Mensch selbst immer tat, und ebenso Superlative verwenden zu können. Sein Abschied kommt ungewöhnlich spät in dieser Zeit, da die Jungen immer jünger werden, wenn sie ins Pressbecken Profifußball geworfen werden. Ein ergrauter Schweinsteiger ist mit nur 32 Jahren schon verraucht, ehe er sich nach dem WM-Finale 2014 einmal umgesehen hat. Gleichwohl war Kloses Abschied lange erwartet, im Grunde bedeuteten die letzten beiden Saisons bei Lazio Rom nur noch das Abklingbecken einer Karriere, die mit dem Weltmeistertitel 2014 ihren völlig verdienten Höhepunkt erreicht hatte. Jenes Turnier, bei dem der schmächtige, drahtige, allzu oft in wenigen Teilen seines Tuns als Weltklasse geltenden Miroslav Klose den großen, echten Ronaldo in der ewigen Torschützenliste der WM überholt hatte. Ausgerechnet – eine Vokabel, die hier einmal angebracht ist – in einer Partie gegen Brasilien, in Brasilien, als Gegner in deren fiaskösem Halbfinal-Heimspiel.
Das Dorf, in dem man die Kirche lassen muss, heißt aber wohl nicht wirklich Blaubach-Diedelkopf, wo fußballerisch alles begann, sondern Opole. Dort als Sohn eines Fußballprofis und einer Handballnationalspielerin geboren, aber eben in Polen, nicht in Deutschland, wo er erst später hinzog und (natürlich) anfangs kein Deutsch beherrschte. Und selbst wenn diese Stadt Opole kein Dorf ist, dann steht er mit seinem Herziehen aus dem damals noch existierenden Ostblock für einen Teil der alten Bundesrepublik, in der man die Vokabel „Integration“ noch nicht mal annähernd buchstabieren konnte.
Was bleibt einem Jungen, der die Sprache nicht spricht, was heute allzu gerne überbewertet wird, aber nun mal Fakt ist, sofern man sein Hobby nicht wie Klose heute beim Angeln ohne soziale Komponente ausüben will? Neben der Musik nur der Sport, der keine Sprache spricht, der aber zumindest ihm eine Heimat bot. Ob er da schon das große Talent war, ist unbekannt. Dass er sein Talent aber intensiv geschärft hat, davon zeugt seine Anwesenheit und vor allem sein Erfolg bei Weltmeisterschaften von 2002, als er noch mit Haudegen wie Marko Rehmer, Gerald Asamoah oder Jens Jeremies über die Runden kommen musste, bis zur Weltmeisterschaft 2014, neben Mario Götze oder Toni Kroos, als der Fußball ein völlig anderer geworden war. Und Klose war wie immer auch bei diesem Turnier trotz sich abzeichnendem Alter vor dem Tor nicht zu stoppen.
Mag sein, dass er bei der WM 2002 fünf Tore per Kopf erzielte und seine Sprungkraft ihn in die Weltöffentlichkeit katapultierte. Schon im selben Turnier bewies er mit seinem äußerst klugem Pass zu Marco Bodes 1:0 gegen Kamerun aber, dass er eben nicht nur eine Strafraumwaffe war, die vollstreckt. Sondern dass er mitspielt. Was er immer weiter verfeinerte, weshalb er heute als Held aus gleich zwei sehr unterschiedlichen Jahrzehnten der Fußballstile gilt und geht.
Mag er ansonsten trocken sein wie ein Graubrot, ob nun nach polnischem oder deutschem Rezept gebacken — Klose, das war über lange Jahre die Kavallarie, die zur Not immer aushalf. In seinem ersten Länderspiel mit dem Siegtreffer kurz nach Einwechslung gegen Albanien, später beim erwähnten 2:0 über Kamerun in Japan, beim 1:1 gegen Argentinien bei der WM 2006, das Ausgleichstor, das erst das vermeintliche Sommermärchen rund machte oder ganz am Ende gegen Ghana und Brasilien 2014.
Gestatten, der freundliche Herr Klose. Nicht mit Hut, nicht mit Charme und nicht mit Melone, war er neben dem Platz so dröge, dass er selbst zu Beckenbauers Zeiten kaum zum Star getaugt hätte. Im Gegensatz zu diesem aber auch bis heute frei von Skandalen geblieben ist. Die alte Sehnsucht aller Fußballromantiker, dass es nur um die Leistung auf dem Platz geht, hat er — wahrscheinlich ohne es je zu ahnen — verkörpert.
Mag es auch beim Weggang aus Bremen böses Blut gegeben haben. Dem stillen Klose wurde das mehrheitlich nicht nachgetragen. Man kann ihn sich vorstellen als jemand, der gerade weil er sich nicht darstellen will, etwas von jenem Fußball transportiert, den er noch aus Blaubach-Diedelkopf kennt. Und wenn er der letzte Vertreter dieser Art gewesen sein wird, der nie ein Internat von innen gesehen hat, dann wird er umso mehr dem DFB das Stückchen Authentizität geben können, deren Fehlen Oliver Bierhoff nie verstanden hat. Womit wir wieder beim Thema sind. Bierhoff, das war ein One-Trick-Pony, der Mann mit der Inselbegabung Kopfball.
Klose hingegen war Spielkultur in Vollendung, wohin er sich auch drehte und das 20 Jahre lang.
Klose, die Kavallerie. Die kommt jetzt nie mehr.
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