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Schlagwort: Therapie

Axt Andreas und die Freunde fürs Leben

Letztens gab es eine tolle Aktion des ASS. Das ASS ist keine Vereinigung von zwanghaft Caps-Lock nutzenden Menschen, die von anderen gerne als Ärsche („ass“) bezeichnet werden, sondern die Abkürzung einer Sportsendung im ZDF, die man einstmals kaum erwarten konnte und mittlerweile kaum ertragen kann.

Das „Aktuelle Sportstudio“ dachte damals, es sei eine tolle Idee, mal so richtigen Journalismus zu betreiben, wie es eigentlich auch der Auftrag der Sendung wäre. Heraus kam im hier benannten Fall allerdings Journalismus für Lieschen Müller. Denn wo man über Homosexualität im Fußball spricht — denkt Lieschen Müller — kann man auch gleich noch Depressionen dazu packen. Dass man damals nicht auch noch in der selben Sendung über Schmerzmittelmissbrauch und Anfälligkeit des Fußballs für Wettmanipulationen konversationiert hat, war die einzige Überraschung an diesem bunten Themenabend.

[photopress:frnd_logo2.jpg,full,alignleft] So hatte jedes der beiden heißen Eisen „Homosexualität (im Sport)“ und „Depression“ fünfzig Prozent von jener Aufmerksamkeit, die sie verdienen, nämlich von der vollen. Hinzu kam das ungute Gefühl, dass zumindest in tumberen Hirnen die Assoziation entstehen könnte, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun habe oder gar sich gegenseitig bewirke. Denn beides gilt schließlich in einem überkommenen, aber immer noch nicht auszurottenden Menschenbild als Zeichen von Schwäche. Wir wollen den Aspekt der vielschichtigen Erscheinungsweisen von Homosexualität hier nicht vertiefen, jedoch gerne noch einmal aufgreifen, dass Depressionen kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Krankheit sind.

Ja, die meisten der Leser hier werden das wissen, so lange aber noch Kommentare wie dieser in Fußballblogs aufschlagen, ist es keine verschenkte Liebesmüh, das immer mal wieder zu thematisieren.

Angesichts seines beruflichen Umfelds und der persönlichen Konsequenzen bleibt es deshalb umso bemerkens- und begrüßenswerter, dass Andreas Biermann bei jener Ausgabe des Aktuellen Sportstudios vor einem Millionenpublikum über seine Depressionen sprach. Und dass er weiterhin nicht verstummt, sondern zur von ihm gewählten Öffentlichmachung steht. Wie im folgenden Interview mit dem Verein „Freunde fürs Leben“, der sich der Suizidprävention verschrieben hat:



Weiter geht’s im zweiten Teil.



Was dieses Interview — und sicher auch das darin angekündigte Buch — demonstriert, ist vor allem, dass Hilfe möglich ist und dass die Vorgänge bei einer Therapie für viele ungewohnt sein werden, letztlich aber sehr oft zum gewünschten Ziel führen.

Dass Andreas Biermann seine bescheidene Bekanntheit dazu nutzt, andere Menschen zu animieren, sich lange Jahre des seelischen Dahinsiechens zu ersparen und stattdessen schneller als er den in den allermeisten Fällen wirksamen Schritt einer Therapie zu gehen, verdient Respekt.

Er hat die Chance auf eine Fortführung seiner Karriere als Fußballer eingetauscht gegen einen offenen Umgang mit seiner Krankheit. Und ist damit eine Axt im gefrorenen Fußballmetier.

Leider passt auf der anderen Seite genau ins bekannte Bild, was Andreas Biermann beim Interview mit der Zeit über die Reaktion des DFB in seinem Fall zu berichten weiß.

Unmittelbar danach [Enkes Suizid] haben sich viele vom DFB hingestellt und wie Theo Zwanziger große Reden gehalten. Ein paar Wochen später wurde das Thema wieder totgeschwiegen. Joachim Löw hatte mal gesagt, Robert Enke hätte auch mit Depressionen bei ihm gespielt — das wäre ein super Statement für das Buch gewesen. Aber der DFB untersagte das Abdrucken. Weil Joachim Löw mich nicht kennt, lautete die Begründung.

Sollte diese Behauptung der Wahrheit entsprechen, kann man dem mittlerweile in die FIFA-Exekutive aufgerückten DFB-Präsidenten angesichts dessen wunderbarem, empathischem Geschwafel bei Robert Enkes Trauerfeier, dem offensichtlich in viel zu begrenztem Umfang Handlungen folgen, dazu gratulieren, dass er schließlich in bester Gesellschaft angekommen ist. Im Kreise von Funktionären, für die soziale Verantwortung und Entwicklung nur als lächerlicher Deckmantel dienen, der ihre wahren Ziele weniger durchschaubar machen soll.

Nein, es gehört tatsächlich nicht zuvorderst zu den Aufgaben des DFB, sich gegen Depressionen zu engagieren, sie zu entstigmatisieren und die Betroffenen zu unterstützen. Überhaupt nicht. Wenn man sich aber derart aufspielt wie geschehen, um dann im Kleinen eben doch nur die Hände in den Schoß zu legen, ist das nichts als schändliche Augenwischerei.

Traurig, dass der DFB die Chance verpasst hat, einen der seinen adäquat zu unterstützen. Positiv, dass sich Andreas Biermann zum Schritt an die Öffentlichkeit entschieden hat.

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Zuckerpillen und Lottogewinner

Hier wurde es schon erwähnt, Sport ist ein gutes Mittel gegen leichte Depressionen. Auch der öffentlichkeitsträchtige Psychiater Florian Holsboer bestätigt das im Interview mit dem Spiegel, in welchem er sich wie folgt äußert:

Bei leichten Depressionen hilft alles, auch Zuckerpillen oder Gruppentherapie.

Dass der Fall Sebastian Deisler aber eben nicht unter „leichte Depressionen“ abzuhaken war, ist uns demgemäß schon länger klar, denn an selbst ausgeübtem Sport hat es im Leben von Sebastian Deisler sicher nicht gemangelt. Es wurde viel spekuliert, woran es bei Sebastian Deisler gelegen haben mag, dass er mehrmals unter dieser Krankheit litt, und natürlich hat man dann gerne den Druck zititiert, unter dem Profisportler schon immer und ganz besonders seit Oliver Kahn leiden. Die Idee, dass zwischen beidem möglicherweise gar kein Zusammenhang bestand, ist allerdings für die meisten nicht so appetitlich, weil das bedeuten könnte, dass Depressionen relativ unabhängig von äußeren Einflüssen entstehen und vielmehr nur an einer beeinträchtigten Funktionsweise bestimmter Mechanismen liegen, so wie man eben regelmäßig oben in Bolivien verliert, weil man weniger Sauerstoff zur Verfügung hat.

SPIEGEL: Sie sehen Depressionen als etwas, das gewissermaßen vom Himmel fällt?

Holsboer: Manchmal schon. Wir haben hier vor einiger Zeit Sebastian Deisler behandelt. Der junge Mann war ein gefeierter Fußballstar, hatte Geld, eine brasilianische Freundin – wieso bekommt so einer eine Depression?

SPIEGEL: Man könnte sich manches vorstellen: Versagensangst zum Beispiel.

Vertieft wird die Diskussion in diesem speziellen Fall leider nicht, obwohl sie es gerade aus unserer Sicht absolut wert wäre, die wir nicht über Millionen verfügen, aber täglich Menschen, bei denen das der Fall ist, dabei zuschauen, wie sie Leistungssport betreiben und uns dann und wann mal über fehlende Motivation wundern, obwohl dort nun mal kaum eine Verknüpfung besteht. Und im Falle Deisler darf man gerne das Bonmot Marcel Reich-Ranickis zitieren:

„Geld allein macht nicht glücklich, aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn.“

Dass Geld nicht glücklich macht, wüsste wohl auch noch der unbelesenste unter den Menschen, keine besondere Erkenntnis, die wir im Handelsblatt erfahren:

„Nur wenn etwas neu sei, löse es eine Euphorie aus. Werde es Alltag, verfliege das Glücksgefühl ganz schnell.“

Sogar Erwin Kostedde mit seinem berühmten Spruch kommt — quasi — drin vor:

„Der Traum vom Nichtstun wird schnell zum Alptraum.“

Allerdings ist a) eine Depression etwas gänzlich anderes als „unglücklich“ zu sein und b) Sebastian Deisler möglicherweise zur Zeit wesentlich glücklicher als er es je war, obwohl er ebenso möglicherweise sogar deutlich weniger Geld hat als vor einiger Zeit.

Dennoch bleibt auch der Rest des Spiegel-Beitrags zur Diskussion um die Psyche und ihre Malfunktionen lesenswert, ganz besonders gefällt sogar der Gedanke, Tests einzuführen, um herauszufinden, zu welcher Gruppe man in Bezug auf die persönliche Antidepressiva-Wirksamkeit gehört, da bestimmte Sorten dieser bei 30-50% der Menschen unwirksam seien. Das sparte nicht nur Geld, sondern reduzierte auch die Zeit bis zur wirksamen Hilfe entscheidend.

Nicht reduziert ist allerdings das Angebot, die Bücher des Interviewten auch im Spiegel-Shop zu erwerben und irgendwie kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das ganze Interview damit ein Geschmäckle hat. Man geht halt nur in Talkshows, wie es der Spiegel in diesem Falle eine geschriebene ist, wenn man etwas zu verkaufen hat.

Deisler kommt dennoch nicht wieder, auch wenn er immer noch im fußballfähigen Alter ist. Schade.

Aber schade für wen und was?

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