So trostlos die Überschrift (hoffentlich) klingt, so trostlos war auch dieser Job, den ich einst in Wuppertal verrichten musste. Die Uni war gerade vorbei, eigentlich dachte man, nun würde endlich die Kasse klingeln und die „Alk-inclusive“-Reisen und die Urlaube in der – schauderhafte Abkürzung – „Domrep“ wahlweise auf den Seychellen würden sich von nun an die Klinke in die Hand geben, nur kurz unterbrochen vom Unterzeichnen des Kaufvertrags des neuen A8, 11, 12, 18, 20, weg und so weiter. Pustekuchen!
Vor die tatsächliche Karriere hat der Herr, von dem die ZVS nie ein Wort erwähnte, noch Monate, wenn nicht gar Jahre des weiteren Darbens gesetzt, und einer dieser Monate führte mich und mein Sein nach Wuppertal.
In Durch Wuppertal, Schwebebahn war ich schon oft, weil meine Oma in der Nähe lebt. In Wuppertal selbst war ich hingegen nie. Was sollte man dort auch?
An einem feuchtklebrigen Septembermorgen aber musste ich dort sein, zum Vorstellungsgespräch für einen Job, der Akademikern vorbehalten war und dennoch von vorneherein auf nur 6 Wochen begrenzt war. Es ging um Interviews von Schülern, irgendein Bildungsminister irgendeines fernen Bundeslandes (hier: NRW) hatte irgendwas beschlossen, was die Qualität seines Ministerfachgebietes in seinem Bundesland erhöhen sollte, oder zumindest Voraussetzungen schaffen sollte, um zu wissen, an welchen Schrauben man überhaupt drehen müsste oder noch genauer: um überhaupt zu erfahren, welche Schrauben es überhaupt in diesem Metier gibt.
Wuppertal also.
Horden von Jünglingen, manche schwitzen, manche stinken darob, manche kämmen sich nicht, viele müssen oft pinkeln oder Ähnliches, die meisten lachen nicht aus Belustigung, sondern aus Scham, geschrien wird viel, Mädchen sind nur in seltenen Fällen eleganter als der Rest und so langsam entwickelt man Verständnis für Lehrer, die sich mit knappen 50 Jahren berufsunfähig schreiben lassen. In der Klapse ist es wenigstens still.
Hatte man noch damals, als man sich entschied, irgendwie doch eine Form von Missgunst denjenigen gegenüber entwickelt (Ben Redelings lässt an dieser Stelle grüßen), die sich dem Lehr“amt“ verschrieben hatten, so war spätestens an dieser Stelle klar, dass man lieber 52 Wochen pro Jahr arbeiten würde, als sich tagaus, tagein diesen Horden von lärmenden, teils pubertierenden, stinkenden, desinteressierten, albernen, krakelenden, schlicht: Kindern zu widmen.
Gott behüte jene, deren Wahl nach dem Abitur auf das Lehr“amt“ fällt. Und Gott sorge auch für ausreichend Platz in den Rehabilitationsanstalten, auf dass nicht jeder, der Lehramt studiert und später ausübt, dem Wahnsinn überantwortet werden muss.
Wuppertal also.
Mein Job war es, die Klasse zu bespaßen, während ein Kollege die Kinder in Einzelgesprächen und durch Ausfüllen von Fragebögen dazu bewegen wollte, sich in der 9. Klasse schon für einen Beruf zu entscheiden, bzw. einen Beruf zu finden, der den jeweiligen „Neigungen“ entsprechen könnte.
Später wechselte ich glücklicherweise in die Rolle desjenigen, der die Einzelgespräche führen durfte. Dabei kam nicht viel mehr heraus, als dass jeder zweite dieser Noch-nicht-wirklich-Teenies an schwerem Liebeskummer litt, sich in die/den Nachbarsnachbarn verliebt hatte (unglücklich, versteht sich) oder in seltenen Fällen auch in die Musiklehrerin. Ansonsten gab es nicht viel zu erzählen, Interessen hatten die wenigsten ernsthafte (nicht dass das an dieser Stelle abgesehen von Fußball und E-Gitarre damals anders war, aber naja), und wenn, dann wirkten sie so bizarr auf mich, dass ich unmöglich empfehlen konnte, dies als Beruf auszuüben.
Terrarienhaltung von Echsen und anderen Dinosauriernachfahren war eins davon.
Modellbau, ein scheinbar ausgestorbenes Hobby, war ein anderes, Modellbau von Autos, von Flugzeugen, alles selbst angemalt, aber nie in der Praxis erprobt.
Voltigieren war auch ganz groß, zumindest für die eine Lady, die mir davon mit funkelnden Augen berichtete.
Manche, viele, bekannten freimütig, außer Computerspielen und Chatten keine Hobbies zu haben und auch nicht zu wissen, wofür sie sich überhaupt interessieren sollten. „Freunde treffen“ war dann am Ende das meistverbreitete Hobby und so gesehen hatte ich dann doch noch was mit diesen jungen Menschen gemein. Computerspielen, Chatten, Freunde treffen.
In der ersten Phase, in der ich noch die Horden bespaßen beaufsichtigen musste, kam es immer wieder zu Szenen, in denen unsere beliebig dahingerotzten Bespaßungsmaßnahmen als solche enttarnt wurden. Natürlich war es scheißegal, welches Ergebnis die Schüler bei Aufgabenblatt A, C oder G erreichten, natürlich war es ebenso scheißegal, ob sie das Kamasutra-ähnliche Faltblatt korrekt zu einer Cheops-Pyramide zusammenfalteten oder nicht, es war eigentlich alles scheißegal, so lange sie ausreichend beschäftigt waren, um für die Einzelgespräche noch genug Hirnmasse in Wallung bringen zu können, auf dass ihnen eine sinnvolle Jobempfehlung gegeben werden konnte.
Man glaubt nicht, wie lang einem die Zeit von 8h bis 13.20h werden kann, wenn man einer Gruppe von jungen Menschen vorsteht, die bespaßt werden muss, ohne dass sie merkt, dass sie lediglich bespaßt wird und alle Maßnahmen, aller Eifer, alle Begeisterung und aller Ehrgeiz, die sie eventuell in die Aufgaben legen, spätestens um 13.21h im Papierkorb landen. Sie wird sehr lang. Der Lärm potenziert sich. Dezibel ist ohnehin eine logarithmische Größe, hier aber schien die Zeit einen zusätzlichen Faktor in die Logarithmierung der Lautstärke zu bringen: Je länger es dauerte, desto lauter erschien eine objektiv gleichbleibende Lärmquelle, Crescendo, immer lauter, orkanartig blies es in die Ohren, bis man seine eigenen Gedanken nicht mehr verstehen konnte, es war nur eine Frage der Zeit, bis das Trommelfell platzen würde und Amok winkte schon durchs hintere linke Fenster, verlockende Angebote machend, dass man ihn zum Teil der eigenen Persönlichkeit machen sollte. Lauter, lauter, lauter. Bitte, schweigt stille. Es gibt keine Stille, wenn um die 30 Kinder in einem Raum sind, es gibt auch keinen Moment der Besinnung. Es gibt nur Krach, Lärm, Hahnenkämpfe, Gegröhle, Flachwitze mit anschließendem ausuferndem Gelächter, es gibt seelenmalträtierendes Geschrei und es gibt wirklich keine Stille. Der Zeiger tickt, aber er läuft nicht weiter. Er scheint auf der Stelle zu ticken. 8h bis 13.20h, das ist mehr als ein ganzes Semester, und das 6 Wochen lang am Stück. Zeit, vergeh endlich, hab dich nicht so.
Ist es erst einmal 13h, raffen alle ihre Sachen zusammen und fahren ihre ansonsten schon nur auf ungefähr 1% der möglichen Konzentration befindliche Konzentration auf 0,0% herunter. Man verbringt ungefähr 20 Minuten im sinnfreien Raum, niemand hört zu, niemand macht irgendetwas, was ihm befohlen wurde, niemand macht überhaupt noch irgendetwas, außer seinen direkten Nachbarn zu ärgern oder seinen indirekten Nachbarn zu ärgern. Woraufhin dieser (oder jener) sich damit revanchiert, seinen direkten Nachbarn oder seinen indirekten Nachbarn zu ärgern. Ein Haufen voller Stecknadeln, bei denen man vergessen hat, die Batterien rechtzeitig zu entladen.
Wie glücklich ich bin, nicht Lehramt studiert zu haben!
Was das in einem Fußballblog zu suchen hat?
Ganz einfach, hier kommt dann das Pitchspotting ins Spiel. In jeder großen Pause blieben nämlich 15-20 Minuten Zeit. Die konnte man damit verbringen, auf dem Ascheplatz gegenüber vom Schulgelände rumzuschlendern und seine nicht mal mehr schrottreifen Akkus wieder aufzuladen. Sich Spielszenen vorstellen, das Klackgeräusch des Balles hören, wie er hinter dem Tor gegen den metallenen Zaun fliegt, die Rufe und das heftige Atmen der Spieler hören (und im Winter auch sehen, es war aber nicht Winter). Dem beinahe die Hand hebenden Hirn noch mal die Restreserven entlocken, die nötig waren, um die Zeit voller Irrer, in der die Zeit ihren Job einfach nicht machen wollte, durchzustehen. Einfach inhalieren.
Pitchspotting saves lives.
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