Nein, weder war es ausgerechnet heute 40 Jahre her, noch war es überhaupt 40 Jahre her. Es ist ungefähr 24 Jahre her. 1995 begann ich mein Studium an der Ruhr-Universität zu Bochum und ich wusste vorher schon, diese komischen Betonklötze an der Ruhr-Uni und die auch bis zum Ende meines Studiums immer dadurch gelösten Probleme mit den kaputten Steinplatten auf dem Weg von der U35-Haltestelle zu den Hörsälen, dass man die kaputten Platten einfach immer wieder an anderer Stelle einbaute, so jedenfalls ein gängiger Scherz zu jener Zeit, werden mich nicht gerade motivieren, täglich zur Uni zu gehen. Es hätten dann die Inhalte sein sollen, die mein Curriculum mir vorgab. Es war dann aber doch eigentlich diese komische Liebe zum Fußball. Der VfL Bochum, das war immer so ein Mysterium, bekannt nur aus den Radioreportagen von Manni Breuckmann, vielen anderen Stimmen natürlich, aber ein Ort zum Träumen. Vor dem Radio.
Einmal probten wir in unserem Proberaum und ließen die Gitarrenriffs stundenlang erschallen, mit nur mäßig talentierter Ausführung, begleitet von einem Schlagzeuger, bei dem der Nickname „Das Tier“ nicht nur Spott war, sondern auch Ehrfurcht. Samstags und sonntags probten wir in einem Keller einer Realschule und der war bombensicher mit dicken Mauern aus Beton umgeben. Um 17 Uhr aber stellten wir immer alle Gitarrenverstärker aus, öffneten die kleinen Fenster zur Außenwelt und lauschten der Schlusskonferenz im Radio.
„Hier in Bielefeld geht gerade die Welt unter“, und andere Bonmots, jeder (in dieser Zeit Fußballinteressierte) kennt diese heimelige Atmosphäre der Schlusskonferenz, alles kam auf einen hernieder, kondensiert in wenigen Schalten von Stadion zu Stadion und die Dramen nahmen ihren Lauf.
Einmal, der Schlagzeuger war Fan von Borussia Mönchengladbach, ging Bochum am Niederrhein mit 1:7 unter. Er zeigte sich höchst erfreut, im Rest der Band herrschte betretene Stille. Ja, man kann ja gewinnen, aber man muss einen Gegner doch nicht vernichten. Es war auf jeden Fall so, dass bei jeder gottverdammten Probe um 17 Uhr eine Pause gemacht wurde, um die Schlusskonferenz zu hören. Und jedes zweite Mal gab es auch eine Übertragung aus Bochum, hier spielt der VfL um sein Leben, was rrrennt dieser freche Außenstürmer da die Linie herunter. Man dachte wirklich, Fußball, das ist ein auditives Drama, keines, das man sehen muss.
Einmal, die Band hatte sich aufgelöst, spielten wir mit unserer Mannschaft, nicht DFB-gebunden, irgendein Spiel am Arsch der Welt und es ging am Ende darum, ob der VfL Bochum aufsteigt oder … irgendein anderer Club oder nicht und alle hier im Westen hatten Sympathien für Bochum. Noch bevor wir duschten hingen alle am Radio in meinem Auto. Was ist jetzt, wer steigt auf? Und der Radioreporter schrie ins Mikro „Tor! Tor! Tor!“ und er bekam sich überhaupt nicht mehr ein und alle dachten, in meinem kleinen Clio sitzend am Radio hängend, ja was ist denn nun – für wen ist das Tor gefallen, man, für Bochum oder gegen? Und es stellte sich raus, für Bochum! Hooray! Da waren alle froh. Naja. Das ist natürlich regional total anders und ich verstehe auch, wenn man den VfL Bochum nicht gerade als Ausgeburt der Fußballkultur, auf dem Platz, wahrnimmt.
Aber der VfL Bochum war immer so eine eine Metapher dessen, dass auch die Kleinen in der Bundesliga was reißen können. Später kam dann noch die UEFA-Pokal-Tour bis nach Amsterdam und eigentlich war es klar. Das Ruhrstadion, das muss ein Hort dessen sein, dass man auch als kleiner Club bestehen kann, dass da eine Fanhorde dahintersteht, die, obwohl, wenn ich ehrlich bin, hat mich zu diesen Zeiten überhaupt nicht interessiert, was mit den Fans ist. Oder welche jemand hat. Der VfL Bochum, das war immer dieser kleine Sympath, ein frecher Dachs, der es immer irgendwie noch hinkriegt, das man ihn nicht erwischt. Wie in diesen italienischen oder tschechischen Filmen aus den 1970ern in den Dritten Programmen, die ich immer spät nachts schaute, als ich das erste Mal einen Fernseher auf mein Zimmer bekam. Und von da an immer total übermüdet zur Schule ging.
Jedenfalls war das Ruhrstadion eine Art Mysterium. Ein Ort, den es nur im Radio gibt.
Was mag nur alles in diesem Ruhrstadion vor sich gehen? Und welch tobende Atmosphäre mag da herrschen?
Ich wusste es nicht, ehe ich dann erst nach Beginn meines Studiums einmal und dann immer öfter eine Eintrittskarte kaufte für die Kurve beim VfL Bochum. Mir war natürlich bewusst, dass ich da ein Fremder war, ein Eindringling, der gar nicht dazugehörte. Ich war einer, der von der Schlusskonferenz im Radio angelockt wurde, nicht von der Qualität des Fußballs. Von der man ja eh noch nichts wusste. Bei meinen Eltern am uralten PC schrieb ich noch eine Hausarbeit, während im TV das Spiel gegen Trabzonspor lief. Und Tage später stand ich auf dieser Kurve im Ruhrstadion und empfand ernsthaft, das ist so intensiv hier, das kann man gar nicht begreifen, wenn man nicht da war.
Spieltage um Spieltage ging ich hin und versuchte meine Freunde aus dem Westen des Ruhrgebiets zu begeistern. Das hier ist das fußballerischste Erlebnis, das man sich vorstellen kann. Einige wenige kamen mit, niemand ging enttäuscht nach Hause. Die charakteristischen Flutlichtmasten, diese Enge in der Kurve, alles roch nach Bier und nach dem, was aus Bier wird, wenn es den menschlichen Köprer wieder verlässt, und das Ruhrgebiet mit seinem oft sehr unappetitlichen Lebensstil, aber seiner rauen Herzlichkeit, brach sich Bahn in diesem Stadion.
Das war der VfL Bochum, das war und ist das Ruhrstadion.
Und ich denke tatsächlich, diese Flutlichtspiele im Ruhrstadion, diese Intensität in einer Kurve, aus der man nicht einfach mal so rauskann, die haben mich geprägt. Das war Fußball at its best, wo noch die ganze Masse aufstöhnt oder jammert. Ein Bad der Gefühle.
Herzlichen Glückwunsch, Ruhrstadion, zum 40. Geburtstag.
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