„Marionetten von PR-Strategien Sportjournalismus am Scheideweg?“, fragte Reviersport gestern fünf Gäste aus Fußball und Medien. Vom Fachmagazin „Sponsors“ war Philipp Klotz angereist, von Vereinsseiten Sascha Fligge, Pressechef bei Borussia Dortmund, und Max Eberl, Sportdirektor bei Borussia Mönchengladbach. Für „die Medien“ sprachen Ulli Potofski, sky-Kommentator und -Moderator und einst bei „Anpfiff“ für eine kleine Medienrevolution im Fußball zuständig, sowie der ehemalige Sportchef der WAZ, Hans-Josef Justen.
Diskussionsszenerie bot Halle 2 der Zeche Zollverein, natürlich stilecht mit Verköstigung in Form von und ich war noch nie auf einer Veranstaltung im Fußball-Bereich, obwohl ich da inzwischen auch einige auf dem Buckel habe, auf der es sie nicht gegeben hätte Currywurst. Als Moderator der Runde fungierte Ralf Bosse, hier und dort im Hörfunk und bei weiteren Medien im Einsatz.
Steht der Sportjournalismus nun am Scheideweg?
Ja, lautete der relativ einhellige Tenor, aber das eben nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal. Zudem nicht der Sportjournalismus alleine, auch wenn für diesen besondere Regeln gälten, sondern der gesamte Journalismus am Scheideweg stände.
Die Perspektiven der einzelnen Diskutanten bildeten dann auch ganz gut die Interessen aller in diesem Prozess Beteiligten ab.
Zunächst erfolgte Justens bei 10 WM und weiteren Großturnieren im Einsatz obligatorischer Blick in die Vergangenheit in seine Tätigkeit als Sportjournalist. Damals mit Schreibmaschine tätig und bei Übermittlung von Texten per Telefon. Ein schön kredenztes Anekdötchen war jenes, wie er früher als Journalist selbst bei Schalke unter Ivica Horvath und auch bei anderen Clubs einfach so mittrainieren durfte. Oder sich einst einen Wettlauf um ein Klubhaus herum mit dem älteren Sepp Herberger lieferte. Heute beides natürlich undenkbar, nicht in erster Linie, weil Sepp Herberger verstorben ist. Eine Einleitung, welche die rasante Entwicklung des Sportjournalismus in den letzten zwei Jahrzehnten aber in ein rechtes Licht tauchte, zumindest, wenn man sich der Veränderungsgeschwindigkeit gewahr werden wollte.
Was aber nicht der Kern der Diskussion sein sollte. Justen schnitt auch das Thema des Vertrauens an, welches die Journalisten damals gegenüber den Profis und Trainern besaßen und welches umgekehrt genauso existierte.
Ob das heute noch der Fall ist? Überhaupt sein kann?
Skizziert wurde von allen Beteiligten eine „Medien-Explosion“, eine Vervielfachung des Interesses. Selbst bei Länderspielen hatten früher höchstens 5-8 Journalisten vorher dem Training beigewohnt und gerade die heutige Nationalmannschaft mit ihrem völlig ausufernden Medieninteresse sei Paradebeispiel für die extreme Veränderung bei gleichzeitigem Qualitätsverlust.
Und weil die weitere Diskussion schwer abzubilden ist, wenn man die durchaus ja willkommenen Themensprünge nicht mitvollziehen will, seien hier die entscheidenden Diskussionspunkte auch anhand dieser nachvollzogen:
Medienschulung der Spieler
Ob überhaupt eine Medienschulung der Spieler stattfindet, dazu äußerte sich Max Eberl recht kryptisch. In den Jugendjahrgängen werde durchaus versucht, vor der Kamera Situationen zu simulieren, mit gestandenen Spielern wie zum Beispiel Max Kruse, die neu zum Verein wechseln, werde derlei aber nicht mehr betrieben. Die spätere Publikumsfrage bezüglich der Weichgespültheit der heutigen Aussagen von Spielern im Vergleich zu jenen von Typen wie Mario Basler et al bestätigte der relevante Teil der Aussagenden damit, dass eben heutzutage jedes Wort im Munde umgedreht werde. Max Eberl selbst bestätigte das mit dem Beispiel, dass er auf die Frage: „Was halten Sie von Lars Stindl?“ eben nicht normal antworten könne. Sage er, dass er diesen nicht kenne, würde ihm vorgeworfen, dass er sich nicht auskenne. Antworte er hingegen, dass dieser ein guter Spieler sei, würde automatisch behauptet, dass Borussia Mönchengladbach Interesse an Stindl besitze.
Boulevardisierung auch der seriösen Medien
Allgemein wurde eine Boulevardisierung der einst seriösen Medien beklagt. Erstere würden immer mehr den Takt vorgeben, gerade online müssten letztere dann mitziehen. (Ob das so ist, sei an dieser Stelle arg bezweifelt, wurde es aber nicht vor Ort.) Wie überhaupt die gesamte Berichterstattung stetig boulevardisierter werde, was eigentlich dem Interesse von seriösen Medien zuwiderlaufen müsste. Gerade dort wolle der Leser/Zuhörer sich darauf verlassen können, dass die Informationen stimmen, was zusehends seltener würde, weil die seriösen Medien in Richtung Klicks und Themenwahl bei den anderen mitschwämmen.
Autorisierung von Interviews, Verfügbar- und Erreichbarkeit der Spieler
Anders als das Klischee besage, würden kaum Interviews wirklich verändert. Sascha Fligge vom BVB brachte an, dass er meist gerade mal ein Komma ändere, wenn er ein Interview vom Kicker gegenlese. Was leider deshalb wenig Aussagekraft hat, weil gerade die Fragen vom Kicker ohnehin stets extrem freundlich und weichgespült sind. Es sei aber bei Weitem nicht so, behaupteten die Vereins-Vertreter, dass man keine Spieler mehr für Interviews erreiche und ebenso auch nicht so, dass es eine generelle Agenda gebe, was gesagt werden dürfe und was nicht.
Zugriff durchs Pay-TV vs Zugriff von Printmedien
Potofski stellte klar, dass, wer die Musik bezahle, auch bestimme, welche gespielt würde. Dementsprechend kämen die Spieler vertragsgemäß zuerst zu sky zu den Interviews. Er sieht darin aber kein großes Problem, weil die Spieler in der Mixed Zone später auch den anderen Medien zur Verfügung stünden. Dass diese Ansicht nicht alle Medien teilen, kam hier mangels Printmedien-Fraktion leider deutlich zu kurz.
Konflikte, selten genug, aber Teil der Show
Als zwei Themen, bei denen es tatsächlich mal in der Vergangenheit zu Konflikten (und gestern zu ein wenig mehr Leben als bei den anderen Themen auf der Bühne) kam, wurden die folgenden beiden Beispiele herangezogen:
Als das Reus-Führerschein-Thema aktuell war, wurde der Spieler von sky in einer Sendung komplett durch den Kakao gezogen. Im Nachzug entschied der Spieler dann selbst, seine Interviews lieber an die ARD zu geben als zu sky zu gehen. Potofski gab in diesem Gesprächsteil zu, dass man vielleicht etwas übertrieben habe.
Ob Ekki Häuser bei Gladbach unbeliebt sei, nicht erwünscht, weil er einst mit Favre aneinandergeraten sei? Nein, man habe auch von Seiten Borussia Mönchengladbachs nichts gegen kritische Nachfragen und das gehöre zum Job dazu. Man lehne keine Journalisten rundweg ab, so lange sie nicht so verfahren wie einst eine Zeitung in der Auseinandersetzung mit Hans Meyer, welcher aber ohnehin mehr als ausreichend rhetorisch in der Lage war, sich selbst zu verteidigen.
Gleichwohl wurde deutlich, dass man eine gewisse Form der Auseinandersetzung, der Meinungsverschiedenheiten als ein den Zirkus befeuerndes Element durchaus beiderseits goutiere.
Weitere Punkte, die Erwähnung fanden, in Folge nur stichpunktartig erwähnt:
- Potofski habe die Revolution bei „Anpiff“ übrigens nur übernommen, weil die anderen Journalisten von ARD und ZDF nicht wechseln wollten. Sagte er gestern.
- Gerüchte würden zunehmend ungeprüft übernommen, es habe eine Medien-Explosion stattgefunden. Gleichwohl wolle man ja, dass berichtet werde. Wechselgerüchte würden aber von Vereinsseite quasi gar nicht mehr kommentiert, weil man dann 10h am Tag nur über alle diskutierten Namen sprechen müsse.
- Max Eberl sei selbst froh darüber, wenn tiefgründiger berichtet wird, gebe deshalb jenen Journalisten, welche es interessiert, von denen er wisse, dass sie Hintergründe ausführlicher darlegen, immer gerne fundiertere Informationen.
- Sascha Fligge berichtete von einem Fall, in dem ein Journalist freimütig zugab, irgendein Wechselgerücht schlicht erfunden zu haben. Da seien auch ihm die Hände gebunden, aber das führe dazu, s. o., dass man das nicht mehr kommentiere.
- Illustration der Medienexplosion: Neue Probleme bei Trainingslagern seien, dass noch vor 10 Jahren 6-7 Journalisten mitreisten, heute seien es beispielsweise beim BVB im aktuellen Trainingslager 72 aus der ganzen Welt gewesen, auch ohne dass man die Journalisten kenne, aus Japan, Italien, USA. Wenn dann jeder harsche Satz von einem Trainer sofort durch die Medien gehe, Stichwort Twitter, führe das eben dazu, dass man mal auf hinteren Trainingsplätzen trainiere, zu denen die Journalisten keinen Zugang haben.
Fazit: PR-Marionetten seien die Journalisten nicht, nein, aber am Scheideweg sei der Fußball und der dazugehörige Journalismus nicht erst seit heute. Die Veränderungen fänden immer schneller statt und auch immer unvorhersehbarer. Vor 10 Jahren hätte niemand geahnt, welche Wirkung Smartphones und das Internet generell auf den Journalismus haben könnten. Die Frage der Autorisierung, der Verfügbarkeit von Spielern für Interviews sowie deren Weichwaschung, werde aber allgemein überschätzt, da es dort kaum Begrenzungen gebe.
Inwieweit das tatsächlich so zutrifft, können wohl nur Journalisten beantworten.
Update: Den gesamten Talk hat Veranstalter Reviersport jetzt online gestellt:
Dank an artus69 für den Hinweis aufs Video.
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