Es ist mal wieder der seltene Moment eines Gastautors hier im Blog gekommen. Die Redaktion von „Trainer Baade“ freut sich besonders, ihren Lesern einen exklusiven WM-Rückblick von Peter Ahrens präsentieren zu dürfen, welcher die DFB-Elf als Journalist durch die Weltmeisterschaft in Brasilien begleitete. Gebeten um seinen ganz persönlichen Rückblick gibt es nun genau diesen hier zu genießen:
Warum jetzt noch dran erinnern? Weil es Winter ist, weil im Moment so wenig aktueller Fußball gespielt wird, weil Deutschland vermutlich so schnell nicht mehr Weltmeister wird. Es gibt Gründe genug, noch einmal die Uhr ein halbes Jahr zurückzudrehen in den Sommer 2014, als Deutschland in Brasilien Weltmeister wurde. Ich war dabei, fast jedenfalls.
Die Deutungshoheit, die der DFB und im besonderen Oliver Bierhoff via Kinofilm über die Ereignisse des Vorjahres zu haben trachtet, erzählt ungefähr folgendes. Die Erfolgsgeschichte der deutschen Nationalmannschaft, sie beginnt bereits im Mai in Südtirol bei jener Vorbereitungswoche im Passeiertal, die damals von fast allen Beobachtern als zumindest unglücklich wahrgenommen wurde, man könnte sie auch misslungen nennen.
Beim DFB hat man das sehr anders wahrgenommen, die Mannschaft, der Trainerstab, das Management, sie sprechen unisono davon, wie sehr man in dieser Woche zusammengerückt sei, der gemeinsame Saunagang, Thomas Müller im Dirndl das trug wohl zum Teambuilding bei, aber die Negativpresse möglicherweise genauso.
Der DFB als Wagenburg gegen das Böse von draußen, ein Bild, das nicht ganz unpassend ist, so erklärt sich teilweise auch dieser hochgejazzte Campo-Bahia-Spirit in Porto Seguro. Wir sind wir, wir sind die DFB-Familie, da können die Anderen erzählen, was sie wollen. Diese Haltung ist mir bei der Nationalmannschaft schon häufig begegnet, nirgends war sie so ausgeprägt wie 2014.
Dass es die Mannschaft nicht besonders durchgeschüttelt hat, dass bei einer überflüssigen PR-Aktion von Sponsor Mercedes zwei Menschen schwer verletzt wurden, spricht für die Stabilität des Teams, kann man sagen. Ich fand das allerdings eher befremdlich, es hatte den Eindruck von Kollateralschaden – bloß nicht vom großen Ziel abbringen lassen.
Joachim Löw spricht gerne davon, im Tunnel zu sein vor wichtigen Spielen, und so kamen mir die Spieler, das gesamte Team vor. Ein Tunnel, lustig dekoriert zwar, an den Tunnelwänden Selfies über Selfies, beschallt mit cooler Musik, aber emotional keine seitlichen Abbieger zulassend. Ab in eine Richtung, da hakt man selbst die Verletzung von Marco Reus kurz vor dem Abflug ab. Am Abend, als Reus sich verletzt hat, war ich komplett überzeugt, dass Deutschland damit seine Titelchance eingebüßt hat. Der beste Spieler des Jahres nicht dabei – wie sollte das denn in Brasilien funktionieren? Ich bilde mir ein, viele haben so gedacht, auch die Mehrzahl der Kollegen.
Vor dem Portugalspiel habe ich wenige Kollegen gesprochen, die sich getraut hätten, Deutschland als Weltmeister zu tippen. Es hat vermutlich eine Halbzeit gedauert, das zu ändern. Die erste Hälfte von Salvador gegen Portugal, und danach herrschte im Medienzentrum überbordende Zuversicht. Dass bei dieser Partie dem Löw-Team alles in die Karten spielte angefangen vom angeschlagen spielenden Cristiano Ronaldo, jeder konnte das sehen, über den frühen Elfmeter bis zum Ausraster von Pepe, der das Spiel nach 30 Minuten entschieden hatte haben interessanterweise die Spieler am ehesten betont.
Die Fans, die man in Brasilien traf, die waren danach schon siegesbesoffen. So sehr, dass Einzelne von ihnen am Abend in der Altstadt von Salvador randalierten übrigens der einzige Gewaltausbruch, den ich in den vier Wochen mitbekommen habe. In einem Land, das angeblich so von Gewalt geprägt sei. Wie ich übrigens auch von der Opposition gegen die WM nur noch wenig wahrnahm, als das Turnier lief. Wie es oft so ist. In Porto Alegre, dem auch klimatisch europäischsten Spielort der WM dort hingen noch mehrere Plakate in den Fenstern: „This is not my tournament.“ ansonsten herrschte, so mein Eindruck eines Besuchers, schon überwiegend Freude bis hin zur Begeisterung im Land, vor allem viel Fach- und Sachverstand. Es müssen ja gern die Taxifahrer herhalten, wenn man die Expertise eines Volkes zu Politik, Wirtschaft oder Sport messbar machen möchte. In Brasilien waren die Taxifahrer in jedem Fall Experten: Am ersten Abend in Salvador, jener schönen, geheimnisvollen Stadt, wurde mir auf der Taxifahrt vom Stadion zum Hotel gleich deutlich gemacht, dass Brasilien auf keinen Fall den Titel holen würde. In Frage kämen nur Deutschland, Argentinien oder die Niederlande – die am Ende die ersten drei Plätze belegten.
Wobei die Deutschen in den kommenden Partien nicht unbedingt alles dafür taten, diesen Eindruck zu bestärken. Ich habe keine Ahnung, wie das In Europa rezipiert wurde man liest in diesen WM-Wochen viel weniger Zeitung als sonst, man ist im Arbeitsmodus, ich habe echt wenig mitbekommen aber die Spiele gegen Ghana, die USA und Algerien haben bei vielen im Pressetross und bei mir auch wenig Zuversicht geweckt. Im Nachhinein vergisst man das manchmal, doch das DFB-Team hat sich durch diese drei Spiele geschleppt, da war kein Glanz, da war ein Muskelfaserriss gegen Algerien zur rechten Zeit und Verlass auf die Offensivkräfte. Die erste Halbzeit gegen Algerien war dennoch das Schlechteste, was ich von einer DFB-Elf seit Jahren gesehen hatte.
Mit dem Viertelfinale erst hat sich dieses Blatt gedreht. Kritisch nachgefragt wurde dennoch von uns allen nur wenig aber vor allem deswegen, weil das kaum möglich war. Am Tag nach den Spielen gab es keine Pressekonferenzen, was ich als Unding empfunden habe, danach ging schon wieder der Fokus auf die nächste Partie los zum Nachhaken war wenig Gelegenheit. Die Abgeschiedenheit des Campo führte zudem dazu, dass bei den Pressekonferenzen kaum internationale Kollegen auftauchten und auch manche deutsche Journalisten den täglichen mühsamen Anreiseweg via Fähre nicht immer mitmachen wollten. Der DFB wird darüber nicht todunglücklich gewesen sein.
Skeptisch bin ich geblieben, vor dem Viertelfinale, die Franzosen erschienen mir zu stark und sie verloren. Vor dem Halbfinale, die Brasilianer hatten sich von Spiel zu Spiel gesteigert und sie wurden vernichtet. Vor dem Finale, ich hatte Messi immer auf der Rechnung gehabt und auch da habe ich mich geirrt. Wobei ich dabei bleibe, das dieser Finalsieg extrem glücklich ausgefallen ist. Ich hab ihn übrigens von Deutschland aus verfolgt, ich bin am Tag vor dem Endspiel heimgeflogen, das hatte private Gründe und so war das Finale das einzige Spiel, das ich ohne Stress, ohne Einzelkritiken schon während des Spiels zu schreiben, beim Bier angucken konnte. Das war fast mein persönliches WM-Highlight.
Es waren beeindruckende vier Wochen, in jedem Fall. In Deutschland haben mir anschließend Leute mehrfach gesagt, das müsse doch mit die tollste Zeit meines Lebens gewesen sein. Da muss ich allerdings ganz klar sagen: Nein. WM-Berichterstattung, egal ob sie in Brasilien stattfindet oder in Südafrika oder in der Wüste das ist nun mal kein Urlaub, ich war in den vier Wochen Brasilien grob geschätzt zweimal am Strand, ich war nicht an der Christus-Statue von Rio, ich war aber viel in den durchgekühlten Medienzentren vorm McDonalds-Buffet, und über brasilianische Flughafen-Foyers kann ich jetzt einen kleinen Flyer fertigen. Das hört sich jetzt vielleicht jammeriger an, als es sein soll. Es ist und bleibt ein gewaltiges Privileg, diesen Job zu haben, aber er ist auch in Brasilien vor allem Arbeit. Zugegeben, eine schöne Arbeit.