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Schlagwort: Interview

Cool retourniert Valérien Medienschelte

In der letzten Woche führte eine plötzliche Eingebung während einer „nächtlichen Internetsafari“ (© Stadioncheck) dazu, nachzuschauen, was denn eigentlich Harry Valérien macht. Er lebte in Bayern und freute sich seines Lebens, war zu erfahren, er sei zwar nicht mehr sehr kameraaffin, treibe aber regelmäßig noch Sport, zumindest Wandern. Das war in der letzten Woche. Nun ist er tot.

Harry Valérien ist gestorben, für jede und jeden in meiner Generation und drumherum wohl der Sportreporter schlechthin, noch weit vor Manni Breuckmann, Adi Furler oder Jochen Hageleit.

Mir war damals immer klar, dass Harry Valérien entweder ein Alien oder ein Österreicher oder ein Luxemburger sein musste. Ein Deutscher konnte er nicht sein, weil er a) so einen französischen Nachnamen trug, der zusätzlich zum Akzent auf dem erste E in meiner Muttersprache auch keine Bedeutung transportierte, b) einen so herben Akzent sprach, dazu immer wieder stakkato-artige Aussetzer in seinen Satzmelodien hatte, dass er nun mal kein Deutscher sein konnte. Oder vielleicht zwar vom Pass her Deutscher, aber in Monaco aufgewachsen, vielleicht auch in Rumänien, aber niemals ein eingeborener Deutscher. Und dass sich ein Ausländer so sehr für deutschen Sport interessiert und das sogar zu seinem Beruf machte, das war natürlich schon eine besondere Auszeichnung dessen, über was er dort berichtete.

Mittlerweile weiß man, in München geboren und aufgewachsen, mit der für jene Generation typischen Zeit in alliierter Kriegsgefangenschaft, war er eigentlich dann doch absolut deutsch, nur eben kein Preuße. Daher auch der mit westdeutschen Ohren gehört fast unnatürliche, starke Akzent. Sicher Rumäne. Oder Ungar. Nein, Münchner, aha. Die durch all diese Umstände von meinem Hirn nur konstruierte Besonderheit hätte Harry Valérien allerdings gar nicht nötig gehabt, schließlich war er durch sein Tun ein außergewöhnlicher Sportberichterstatter, wie wir gleich noch unten sehen werden.

Was mich bei all den bislang konsumierten Nachrufen wundert, ist das Fehlen einer — jedenfalls für „uns“ damals — ganz wichtigen Komponente des Schaffens von Harry Valérien. Nun gut, dass er womöglich nur seinen Namen fürs Cover hergab und mit den Inhalten eventuell gar nichts zu tun haben könnte, das ahnte man erst später. Aber Harry Valérien ist uns allen — und ich kenne niemanden, der wirklicher Fußballfan ist, der nicht eine Ausgabe davon besitzt oder besaß — bekannt ist er uns allen natürlich wegen seiner WM- und EM-Bücher, wie Benny Berger hier seines zeigt und ich selbst auch diverse besaß (bis sie mir in einer Nacht- und Nebel-Guerilla-Aktion während der WM 1998 geklaut wurden, aber das ist eine andere Geschichte). Solch eines, solch eines oder auch solch eines.

Dazu hatte er natürlich das Glück, dass er in einer Zeit tätig war, in der einerseits das Volk in Deutschland nur drei Sender hatte, die Chance, das man ihm abends zusah, also bei etwa einem Drittel lag, so man an jenem Abend fernschaute. Außerdem bewirkte dieses dünne Medienangebot, dass man sich auch als Flachlandtiroler für Skiabfahrten oder Golfturniere im fernen Florida interessierte, in Ermangelung an Alternativen im sportlichen Fernsehprogramm. Und Harry Valérien andererseits in einer Zeit wirkte, in der das Fernsehen sich noch nicht als Partner der Bundesliga verstand, sondern eben als neutraler Berichterstatter. Und da die meisten sein Wirken nicht selbst miterlebt haben, wollen wir mal schauen, wieso Harry Valérien so sehr geschätzt und als derart integer wahrgenommen wurde.

Da gibt es sicher viele Beispiele, aber weil hier das Thema Fußball lautet und nicht Golf, Schwimmen oder Ski, soll es eben auch ein Fußballbeispiel sein. Et voilá, ein weiteres Resultat jener eingangs erwähnten nächtlichen Internetsafari stand dann auch sofort bereit: Harry Valérien im Gespräch mit einem der schwierigsten Charaktere, die es im deutschen Fußball gibt. Auch und erst recht damals schon, ohne dass Valérien locker lässt oder aber arrogant wird. Von beeindruckender Konsequenz, wobei man den heutigen Reportern zugute halten muss, dass es unter den heutigen Aktiven gar niemanden mehr gibt, an dem man sich derart abarbeiten könnte, wie Valérien diese Gelegenheit damals zuteil wurde, im Sommer 1982, als er an einem spanischen Hotelpool vor johlenden Touristen dieses Enfant Terrible des deutschen Fußballs vors Mikrofon bat. Ein echtes „Musssehen“, dieser Link:

Harry Valérien interviewt einen grantigen, medienscheltenden Fußballer.

Beziehungsweise für den Fall, dass der Link irgendwann nicht mehr funktionieren sollte, das Video auch gleich hier im Bild.



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Wünsch dir was

Wann hat diese Elf wohl gespielt?

Kahn — Stickroth, Simunic, Waldoch, Reiss — Freier, Messi, Tretschok, Heinrich — Jancker, Klose

Oder diese?

Dreher — Matthäus — Ziege, Pohl, Kutowski — Breitzke, Häßler, Scholl — Thom — Dickel, Völler

Oder diese?

Schmadtke — Legat, Spanring, Vogel, Kohl — Eilts, Soldo, Balakov, Cardoso — Bode, Decheiver

Antworten hier.

PS: Das Tolle sind nicht nur die Zusammenstellungen dieser Elfen, sondern dass man die Herren Profis auch mal längere Zeit etwas freier reden hört als in den Interviews am Spielfeldrand — und vor allem über ein anderes Thema als eine gerade absolvierte Partie. Noch dazu befinden sich unter den Kandidaten auch die weniger großen Stars, sogar Schiedsrichter. Sehr bunte, gelungene Mischung.

“Urheber“

PPS: Die erste ist von Dariusz Wosz, die zweite von Thomas Helmer und die dritte von Jens Todt.
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Blog-Krokant: Heute aus Münster

Wenn dem Peters zu langweilig ist, geht er aufs Eis. Natürlich nicht ohne sein Laptop. Auf dem Eis fallen ihm dann die dollsten Dinger ein, und so hat er von dort auf dem Eis mal eben ein neues Projekt ins Leben gerufen. Fokus Fussball ist eine Presseschau rund um den Fußball und damit ein erster (?) ernsthafter Konkurrent von indirekter freistoss, welcher in dieser Disziplin einst prämierte Maßstäbe setzte. Wie es bei einem Produkt aus dem Hause Peters nicht anders zu erwarten war: Optisch schön anzusehen, die Metapher mit dem „Grün, wegen Fußball, zwinker, zwinker“ nicht überdehnt und die ersten drei Ausgaben lesen sich schon so, dass man zum Wiederkommen neigt: Fokus Fussball.

Wie das Produkt „Fokus Fussball“ stammt auch die nächste Geschichte aus Münster. Matthias in der Weide, der „Schalkefan“, hat nach seinem Analogbloggen während der EM dem Fass voller Ideen mal wieder die Krone aufgesetzt. „Die kleine Geschichte vom Bundesliga-Rasen in Tüten“ erzählt davon, wie er jene Graskrumen rettet, welche die einzigen Überlenden des ersten Bundesligaspieltags vor 50 Jahren darstellen. Denn in keinem anderen als dem Stadion von Preußen Münster dürfte man 50 Jahre lang nie den Rasen ausgewechselt haben. Weshalb die von in der Weide (sic!) geernteten Rasenelemente zumindest die x-te Generation an Nachfahren des Rasens aus dem Jahr 1963 sein dürften.

Sie sind somit auch ein echtes Stück deutscher Fußballgeschichte, welches er bewahrt hat und von dem er einen Teil ganz sicher mit dem größten Vergnügen an das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund weiterreichen wird. Bei Preußen Münster selbst hält man hingegen nicht so viel davon, auf Anfragen zu antworten oder das Pfund, welches man als Teilnehmer der ersten Bundesligasaison besitzt, zu etwas anderem einzusetzen als zum Dösen. Nicht dass man damit noch wucherte. (Achtung: Delling.) Wuchern wird hingegen bald auch auf meinem Balkon der Urururururenkel vom Rasen aus der ersten Bundesligasaison, denn ich bin dank des heldenhaften Rettungseinsatzes, aber auch des Großmuts von in der Weide Besitzer eines solchen Büschels geworden. Tolle Geschichte, diese „Kleine Geschichte vom Bundesliga-Rasen in Tüten“.

Das dritte Thema unserer schönen Krokantansammlung stammt nicht aus Blogs, aber ebenfalls aus Münster. Ein höchst kurzweiliges Interview mit einem ehemaligen Spieler von Preußen. Wer auf unfreiwilligen Humor à la Helge Schneider steht, wenn der Interviewer bei jeder zweiten Frage die falschen Informationen mitgebracht hat und der Interviewte ihn korrigieren muss, oder der Befragte den Interviewer anweist, was er später auch noch alles so fragen könnte, der ist beim Interview von Preußen Münster mit Uwe Tschiskale genau richtig.

Uwe Tschiskale? Ja, er war tatsächlich mal beim großen FC Bayern, von Coesfeld aus, über Preußen Münster und die SG Wattenscheid 09. Tschiskale bestreitet selbst nicht, dass es bei Bayern nicht allzu gut lief. Obwohl seine Erfahrungen mit Lothar Matthäus, Klaus Augenthaler und so weiter alle positiv waren. Auch auf Uli Hoeneß lässt er nichts kommen. Einleuchtende Begründung dafür, warum Uli Hoeneß der tollste Mensch der Welt sei: Er gibt sein Wort und hält sich dran. Schon damals waren die Verhältnisse in unserer Gesellschaft also derart zerrüttet, dass das für viele andere Menschen nicht galt.

Im normalen Leben ist Tschiskale allerdings gut angekommen. Sein persönliches Dschungelcamp heißt „Hotel am Münstertor“ und scheint in Coesfeld ordentlich zu laufen. Zumindest existiert es jetzt schon längere Zeit, ohne pleite zu gehen, was in Ex-Fußballerhänden ja keine Selbstverständlichkeit ist. Ja, gut äh, die Webseite seines Hotels ist jetzt seit 2005 nicht mehr aktualisiert worden — das macht aber nix, denn was soll sich an der Dienstleistung schlafengehen-duschen-frühstücken auch schon groß ändern in so einem Hotel?

Anekdote um Anekdote in diesem Interview, ganz frei Schnauze.



Kann man nicht erfinden …

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Endlich! Grund für Bayern-Misere gefunden

In den letzten Jahren diskutieren die Leute sich die Finger wund, woran es denn wohl bei den Bayern liegt, dass diese seit etlichen Saisons immer nur alle zwei Jahre — und heute aller Voraussicht nach nicht mal mehr das — Meister werden, woran es zum ganz großen, dazu noch möglichst eleganten Wurf mangelt.

Fehlendes System, zu viele Alpha-Männchen, zu große Erwartungshaltung, vorne zu ausrechenbar, hinten zu anfällig, Stadion zu leise, Fans zu rot, zu selten Kaiserwetter in Fröttmaning, was da eben so alles an Theorien in den Raum geworfen wird.

Jetzt ist es ausgerechnet der große Schweiger Miroslav Klose, durch seinen Wechsel nach Rom mit dem Blick von außen versehen, der endlich auflöst, woran es eigentlich liegt. Auf die Frage, wie er es fände, dass man bei Lazio Rom stets ohne Publikum trainiere, entgegnet er der FAZ:

Man kann so konzentrierter arbeiten und hört sogar den Trainer, wenn er was während des Trainingsspiels sagt! Beim FC Bayern an der Säbener Straße habe ich oft mein eigenes Wort nicht verstanden, weil die Fans so laut waren.

Da kann natürlich kein Trainer der Welt irgendein System etablieren, wenn die Spieler ihn ohnehin nicht hören. Selbst die, die zuhören wollen, welche es sogar bei der Ansammlung von Stars mit gewissen Eigenarten beim FC Bayern geben soll, entwickeln sich dann durchs Training nicht weiter. (Dieser Umstand erklärt allerdings auch, warum Jupp Heynckes einigermaßen in München funktioniert.)

Die Lösung scheint simpel: Entweder ohne Publikum trainieren, dann klappt’s auch mit dem System — oder jeden Spieler mit Kopfhörer versehen, via dem die Anweisungen übermittelt werden. Schon 2013 kann man also wieder Meister werden, wenn man Wege findet, den Schall erfolgreich zu übertragen.

Fußball kann so einfach sein.

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Improtheater mit Ottmar

Na gut, nicht wirklich improvisiert. Definitiv aber nicht auswendig gelernt!



Man muss ihn einfach lieben für seinen Esprit, seine Verve und nicht zuletzt die Aura eines Briefkastens.

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Mesut allzeit frohgemut

Die Frage beschäftigt die Nation enorm, insbesondere seit es Interviews ohne Interview drin gibt:

Was genau müsste geschehen, damit Mesut Özil sich wenigstens ein einziges Mal nicht freut?

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In Norwegen ist draußen drinnen

Abgesehen von der merkwürdigen Angewohnheit, in Interviews mit Fußballern (fast) immer nur Nichtchristen nach dem Ausleben ihrer Religion zu befragen, niemals aber z. B. Atheisten zu ihrem Atheismus zu befragen, verwundert eine Antwort des Norwegers bei Hannover 96, Mohammed Abdellaoue, auf eine Frage in einem Interview mit der FAZ, welches mit der an Banalität kaum zu überbietenden Aussage „Ich versuche, ein guter Muslim zu sein“ betitelt ist:

Waren Sie so ein Kind, dass immer draußen gespielt hat, wie man das in Norwegen überall sieht?

Nein. Ich bin eher nicht der Junge gewesen, der das tat. Ich war mehr ein Kind der Stadt. Und bei mir galt: Fußball, Fußball, Fußball. Nicht so sehr Ski fahren, in die Berge gehen, fischen. In der Schule und auf der Universität hatten wir immer Trips in die Natur. Aber es war nichts, was mir besonders gefiel. Ich habe immer am liebsten Fußball gespielt. Insofern war ich kein typisches Draußen-Kind.

Wer in Deutschland immer nur Fußball, Fußball, Fußball kennt, der wäre genau ein solches „Draußenkind“.

In Norwegen hingegen ist es wohl tatsächlich so, dass man angesichts der Witterungsverhältnisse Fußball häufiger drinnen spielt als draußen. Was meines ungeprüften Wissens zufolge allerdings nicht in kleinen Turnhallen mit Handballtoren geschieht, sondern in riesigen Bauten, die oft die komplette Größe eines normalen Fußballfeldes umfassen.

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Wenn thwei dath Gleiche tun, itht eth noch lange nicht dath Thelbe

Der eine darf uneheliche Kinder machen, x Mal heiraten und niemand nimmt es ihm krumm, während dem anderen unterstellt wird, eine manische Obsession bezüglich des Heiratens gerade der Schule entronnener Mädchen zu besitzen. Mindestens unreif beim zweiten, beim ersten gilt es als Savoir-vivre.

Der eine darf schon mal Probleme mit der Steuer haben, hinterher interessiert’s niemanden, während der andere gerade mal eine Handy-Rechnung nicht bezahlt und schon ist die Häme groß.

Und dann auch noch: Der eine darf radebrechen wie der hinterletzte Hill-Billy, keinen kratzt’s. Während sich beim inzwischen doch recht passablen Englisch des anderen das halbe deutschsprachige Internet auf die Schenkel klopft und ein Paradebeispiel für die Bedeutung des Wortes „viral“ bei jenem Video von Al Jazeera abliefert.

Um den letzten Punkt zu untermauern, hier also die Preisfrage.

Von welchem Spieler redet der Dummschwätzer in diesem Interview?



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Ohnegleichen

Hätte Manuel Neuer doch mal etwas früher mit Ottmar Hitzfeld gesprochen. Achnee. Falsche Farbe.

Klar, das war ein emotionaler Höhepunkt für mich. Für die Fans im Ruhrgebiet ist Fußball Religion, vor der schwarz-gelben Südtribüne hatte ich eine Gänsehaut. Unser Meisterkorso führte stundenlang durch die Stadt, die Identifikation der Leute ist riesig – bis ins hohe Alter, quer durch alle sozialen Schichten, das kann man mit München nicht vergleichen.

Sagt dennoch einer, der es wissen muss. Im Übrigen ist das Interview auch ansonsten lesenswert, was ja wiederum erstaunlich ist, wenn Ottmar Hitzfeld spricht.

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Rätsel um Hitzfelds Falten gelöst

Es liegt dermaßen auf der Hand, man hätte es seit geraumer Zeit schon ahnen müssen. Hat man aber nicht. Ottmar Hitzfeld hat deshalb so viele Falten (allgemein) und vor allem auch so wenig Inhalt (speziell) bei Interviews im deutschen Fernsehen beizutragen, weil er sich so sehr konzentrieren muss. Schließlich ist Hochdeutsch für ihn eine Fremdsprache, wie dieses Trailerlein beweist. Odrr Trailerli?

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Axt Andreas und die Freunde fürs Leben

Letztens gab es eine tolle Aktion des ASS. Das ASS ist keine Vereinigung von zwanghaft Caps-Lock nutzenden Menschen, die von anderen gerne als Ärsche („ass“) bezeichnet werden, sondern die Abkürzung einer Sportsendung im ZDF, die man einstmals kaum erwarten konnte und mittlerweile kaum ertragen kann.

Das „Aktuelle Sportstudio“ dachte damals, es sei eine tolle Idee, mal so richtigen Journalismus zu betreiben, wie es eigentlich auch der Auftrag der Sendung wäre. Heraus kam im hier benannten Fall allerdings Journalismus für Lieschen Müller. Denn wo man über Homosexualität im Fußball spricht — denkt Lieschen Müller — kann man auch gleich noch Depressionen dazu packen. Dass man damals nicht auch noch in der selben Sendung über Schmerzmittelmissbrauch und Anfälligkeit des Fußballs für Wettmanipulationen konversationiert hat, war die einzige Überraschung an diesem bunten Themenabend.

[photopress:frnd_logo2.jpg,full,alignleft] So hatte jedes der beiden heißen Eisen „Homosexualität (im Sport)“ und „Depression“ fünfzig Prozent von jener Aufmerksamkeit, die sie verdienen, nämlich von der vollen. Hinzu kam das ungute Gefühl, dass zumindest in tumberen Hirnen die Assoziation entstehen könnte, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun habe oder gar sich gegenseitig bewirke. Denn beides gilt schließlich in einem überkommenen, aber immer noch nicht auszurottenden Menschenbild als Zeichen von Schwäche. Wir wollen den Aspekt der vielschichtigen Erscheinungsweisen von Homosexualität hier nicht vertiefen, jedoch gerne noch einmal aufgreifen, dass Depressionen kein Zeichen von Schwäche, sondern eine Krankheit sind.

Ja, die meisten der Leser hier werden das wissen, so lange aber noch Kommentare wie dieser in Fußballblogs aufschlagen, ist es keine verschenkte Liebesmüh, das immer mal wieder zu thematisieren.

Angesichts seines beruflichen Umfelds und der persönlichen Konsequenzen bleibt es deshalb umso bemerkens- und begrüßenswerter, dass Andreas Biermann bei jener Ausgabe des Aktuellen Sportstudios vor einem Millionenpublikum über seine Depressionen sprach. Und dass er weiterhin nicht verstummt, sondern zur von ihm gewählten Öffentlichmachung steht. Wie im folgenden Interview mit dem Verein „Freunde fürs Leben“, der sich der Suizidprävention verschrieben hat:



Weiter geht’s im zweiten Teil.



Was dieses Interview — und sicher auch das darin angekündigte Buch — demonstriert, ist vor allem, dass Hilfe möglich ist und dass die Vorgänge bei einer Therapie für viele ungewohnt sein werden, letztlich aber sehr oft zum gewünschten Ziel führen.

Dass Andreas Biermann seine bescheidene Bekanntheit dazu nutzt, andere Menschen zu animieren, sich lange Jahre des seelischen Dahinsiechens zu ersparen und stattdessen schneller als er den in den allermeisten Fällen wirksamen Schritt einer Therapie zu gehen, verdient Respekt.

Er hat die Chance auf eine Fortführung seiner Karriere als Fußballer eingetauscht gegen einen offenen Umgang mit seiner Krankheit. Und ist damit eine Axt im gefrorenen Fußballmetier.

Leider passt auf der anderen Seite genau ins bekannte Bild, was Andreas Biermann beim Interview mit der Zeit über die Reaktion des DFB in seinem Fall zu berichten weiß.

Unmittelbar danach [Enkes Suizid] haben sich viele vom DFB hingestellt und wie Theo Zwanziger große Reden gehalten. Ein paar Wochen später wurde das Thema wieder totgeschwiegen. Joachim Löw hatte mal gesagt, Robert Enke hätte auch mit Depressionen bei ihm gespielt — das wäre ein super Statement für das Buch gewesen. Aber der DFB untersagte das Abdrucken. Weil Joachim Löw mich nicht kennt, lautete die Begründung.

Sollte diese Behauptung der Wahrheit entsprechen, kann man dem mittlerweile in die FIFA-Exekutive aufgerückten DFB-Präsidenten angesichts dessen wunderbarem, empathischem Geschwafel bei Robert Enkes Trauerfeier, dem offensichtlich in viel zu begrenztem Umfang Handlungen folgen, dazu gratulieren, dass er schließlich in bester Gesellschaft angekommen ist. Im Kreise von Funktionären, für die soziale Verantwortung und Entwicklung nur als lächerlicher Deckmantel dienen, der ihre wahren Ziele weniger durchschaubar machen soll.

Nein, es gehört tatsächlich nicht zuvorderst zu den Aufgaben des DFB, sich gegen Depressionen zu engagieren, sie zu entstigmatisieren und die Betroffenen zu unterstützen. Überhaupt nicht. Wenn man sich aber derart aufspielt wie geschehen, um dann im Kleinen eben doch nur die Hände in den Schoß zu legen, ist das nichts als schändliche Augenwischerei.

Traurig, dass der DFB die Chance verpasst hat, einen der seinen adäquat zu unterstützen. Positiv, dass sich Andreas Biermann zum Schritt an die Öffentlichkeit entschieden hat.

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Jürgen keine Cola

Immer wieder aufs Neue erstaunlich ist, wie leger man in Fußballerkreisen mit Drogenkonsum umgeht, wie leichtmäulig man diesen offen zugibt und dass man noch nicht mal davor zurückschreckt, diesen zu erwähnen, wenn Kinder zuhören.

Vorhin fragte Sven Pistor im WDR2-Radio-Interview den Kohler Jürgen alter Schule, wo man denn in Dortmund die Meisterschaft feiern könne, man müsse ja schon mal planen und er als zweimaliger Deutscher Meister mit der Borussia aus Dortmund wisse doch sicher, welches die dafür besten Plätze seien. Doch des Kohlers Jürgen Antwort half nicht dabei, diese Aufgabe zu lösen.

„Oh, das weiß ich gar nicht mehr. Ich war schon direkt nach dem Spiel so dicht, dass ich eigentlich gar nicht mehr weiß, wo wir da überall gefeiert haben.“

Am hellichten Tage — sagt er es. Öffentlich und ohne einen Funken Scham.

(Und entschuldigen Sie bitte den Delling im Titel …)

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