Zum Inhalt springen

Schlagwort: Golden Goal

Auf dem Vulkan tanzende Biere

Mit dem Testspiel heute gegen Frankreich geht es langsam in die vorletzte Kurve Richtung EM 2012. Da ich selbst in Bremen im Stadion weilen werde, kann ich heute nichts dazu bloggen, weshalb ich eine andere Geschichte erzähle.

Ich war jung, ich brauchte das Geld. Nicht dass ich solches jetzt nicht mehr brauchen würde, aber ich bin nicht mehr jung. Und das ist gut so. Denn dass ich nicht mehr so jung bin wie 1996 ist in vielerlei Hinsicht gut, für diese Zwecke hier aber vor allem in einer.

Nie wieder würde ich eine Schicht ganz gleich wie gut bezahlter Arbeit annehmen, wenn ein Finale eines großen Turniers am selben Tag ansteht. Selbst wenn, wie im Falle von 1996, die Arbeit in einer Kneipe mit Großbildleinwand und perfektem Blick auf das Spiel zu verrichten ist. Doppelter Lohn, wegen des großen Andrangs aber vierfache Arbeit und kaum Zeit, das Spiel ernsthaft zu verfolgen. Wie gesagt, das Gute am Nichtmehrjungsein ist, dass man die meisten Fehler bereits begangen hat und im Normalfall nicht wiederholt. Naiv wie ich war, dachte ich, dass doch sowieso niemand während des Spiels Bier bestellen würde, schließlich müsste man genau dann ja das Spiel verfolgen und würde nur in der Halbzeitpause und vor dem Spiel bestellen.

So aber hatte ich an jenem 30. Juni 1996 Thekendienst in einem der wenigen akzeptablen Läden meiner Heimatstadt und die Massen waren schon in der Woche zuvor anlässlich des Halbfinals gegen England in rauen Mengen in den Laden geströmt. So rau, dass manche Leute bis in den Flur stehen mussten und wohl nur die Hälfte des Bildes sahen. Also auch nur den halben Andy Möller, wie er an einer der Eckfahnen des Wembleystadions den jubelnden Pfau gab, der durchaus dazu geeignet war, die englischen Fans in ihrem Heimstadion zu provozieren. Anlass war natürlich das gewonnene Elfmeterschießen gegen den Gastgeber und das war wohl der einzige Tag im Leben des Andy Möller, an dem ihn alle Fußballdeutschen mochten.

Jedenfalls war der Laden auch am Tage des Finales proppevoll und das wirklich Neue am Public Viewing ist eigenlich nur der Umstand, dass es draußen stattfindet. Rudelgucken an sich war auch damals schon üblich, 1990 zum Beispiel im Kino (nicht ich, aber andere) und 1996 eben in dieser Kneipe. Als der Tag begann, war Oliver Bierhoff übrigens noch nur ein Ergänzungsspieler, den kaum einer kannte, weil er seine Karriere in Italien vorantrieb. Bekanntlich war das zwei Stunden nach Anpfiff völlig anders. Ohne diese beiden titelbringenden Tore wäre er vielleicht jetzt kein Manager der Nationalelf geworden, weil er es gar nicht erst zum Stammspieler in der Nationalmannschaft gebracht hätte.

An den Spielverlauf selbst habe ich wenig Erinnerungen, obwohl immerhin nur alle 2 Minuten der Griff an den Kühlschrank nötig war. Schwieriger waren da die Bestellungen im „Saal“, wo Stuhlreihen dicht gedrängt vor der Leinwand aufgereiht waren und die Gäste immer wieder nach großen Bestellungen riefen, die kellnerlike auf einem Tablett hingeschafft werden wollten. Was auch ganz gut gelang, wenn auch mit Mühe, denn natürlich sprangen immer wieder alle auf, wenn sich eine Torchance für die Deutschen abzeichnete.

Dass es Matthias Sammer war, damals Mit-, heute Gegenspieler von Oliver Bierhoff, der den Foulelfmeter zum 0:1 durch Patrik Berger verursachte, musste ich tatsächlich nachlesen, nicht aber natürlich den Ausgleich durch den Danone-Boy. Zum Zeitpunkt des 1:1 war ich gerade in Sicherheit und nicht in der Masse der Menschen mit einem Tablett unterwegs. Da sich die kleine Pointe der Geschichte jetzt schon abzeichnet, rasch weiter zu ihrem Ende: Verlängerung, nachdem Bierhoffs Ausgleich alle erleichtert und daran erinnert hatte, wieso man auch hierhin gekommen war: zum Biertrinken.

Große Bestellungsrunde, auf ins Getümmel und als ich mitten in den Zuguckern stand, fiel nach nur 5 Minuten in der ja nach Golden-Goal-Regel gespielten Verlängerung das 2:1-Siegtor für Deutschland. Ich befand mich mit einem Tablett rundum voll mit Bier in dieser Menge, die aufsprang und den Raum hüpfend und jubelnd zum „Tollhaus“ werden ließ, während ich in artistischer Manier die wertvolle Ladung rettete, indem ich sie erst hoch über allen Köpfen hielt und im nächsten Moment samt Tablett in Richtung Fußboden abtauchte.

Was für ein Triumph! Deutschland Europameister, und alle Biere gerettet, die mir danach trotzdem aus den Händen bzw. vom Tablett gerissen wurden. Die Menge strömte auf die Straßen, wo nur Sekunden nach Abpfiff schon ein Autokorso begonnen hatte. Da ruckzuck fast niemand mehr in der Kneipe anwesend war und der Chef die Stellung hielt, schaffte ich es ebenfalls in eines der teilnehmenden Autos und merkte, dass man irgendwie schlecht jubeln kann, wenn die Menschen alle getrennt voneinander im Auto sitzen. Das bisschen Hupen ist da eher so lala. Mein erster Autokorso als Insasse, und bis heute auch mein letzter. Aber immerhin als doppelter Sieger: Die auf dem Tablett tanzenden Biere nicht in den Vulkan fallen gelassen und eben Europameister.

Und jetzt Ihr: Wo und wie habt Ihr den letzten Titelgewinn 1996 erlebt?

18 Kommentare

Als Olli dem Feuerkopf den Rang ablief

Die Rivalität zwischen Matthias Sammer und Oliver Bierhoff ist in diesen Tagen mit den Händen zu greifen, sofern man Hände hat, die bis zum DFB reichen. Wir wissen nicht so genau, woher diese ausgesprochen intensive Rivalität rührt, aber hier gibt es zumindest einen ersten Hinweis, wann alles begonnen haben könnte. Vor der WM 1998 war der europäische Fußballer des Jahres, eben jener „Feuerkopf“ Sammer schwer verletzt. Normalerweise sind die Zeiten rund um große Turniere für Fußballer wie Ostern und Weihnachten zusammen, was Werbeverträge angeht. Doch, ach, ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt war Sammer schwer vermittelbar (dass er das schon immer war, behaupten nur böse Zungen), und welches Goldengoallöckchen stieß in diese enorme Lücke?

Die Welt von 1998 berichtet:

„Doch ein verletzter Spieler ist ungeeignet, wenn eine Firma jungen Menschen etwas von Fitneß, Tempo und Gesundheit erzählen will. Und so versuchte auch Sammers persönlicher Berater Norbert Pflippen erst gar nicht, neue Verträge abzuschließen, obwohl er den Spieler für einen ausgzeichneten Transporteur von Werbebotschaften hält. ‚Das ist einer wie der Franz‘, sagt Pflippen und sucht den Vergleich mit Beckenbauer. (…) Er nutzte den Freiraum, um den Stürmer Oliver Bierhoff 50 Unternehmen als Werbepartner anzubieten. Inzwischen bezeichnete der ‚Spiegel‘ den Angriffsspieler als ‚Reklamehelden‘, die Firmen waren Feuer und Flamme. Pflippen hofft lediglich, daß Sammer wieder gesund wird.“

Allerdings muss man anmerken, dass Sammer früher noch stinkstiefeliger und jähzorniger war als er es jetzt ist. Von daher ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass die Basis des Konflikts bereits in einer der englischen Kabinen bei der Europameisterschaft 1996 gelegt wurde.

Und um Matthias Sammer als „einen wie der Franz“ zu empfinden, muss man ihn wohl unter Vertrag haben. Ansonsten müsste man auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Okay, eine Weltläufigkeit vermitteln sollende Brille wie der Franz hat Sammer inzwischen auch. Aber sonst? Hat man den Franz je jähz… Okay. Schon gut.

7 Kommentare

Golden Goal

Gibt’s ja zum Glück nicht mehr, auch nicht das ebenso unsägliche Silver Goal. Dem Golden Goal hat hier aber jemand trotzdem noch ein sehenswertes Denkmal gesetzt [Link leider tot].

Wir sagen: Farewell, my love, never come back. Danke im Voraus.

3 Kommentare