Sollte sich jemand gefragt haben, ob es sinnvoll ist, dass ein nicht mal 30-Jähriger, nicht durch übertriebene Helligkeit oder Mut zum offenen Wort aufgefallener Fußballer ein Buch schreiben lässt, dann ist diese Überlegung mit dem Erscheinen von Philipp Lahms „Der feine Unterschied“ hinfällig. Die Antwort lautet: Nein.
16 Kapitel hat er sich wahrscheinlich in wörtlicher Rede, von Christian Seiler in Schriftform gepackt aus dem Gedächtnis geleiert und dabei sind gerade vier wirklich lesenswert. Das ist jenes, in welchem er über die Gründung seiner Stiftung nach einem Aufenthalt in Südafrika abseits des Protokolls berichtet. Dazu jenes, in welchem er von seiner ersten längeren Verletzung schreiben lässt, das bekannte, von dem Besuch des sich in ihn verliebt Habenden erzählende und eventuell noch jenes Kapitel zu seinem nicht autorisierten Interview mit der SZ.
Grundsätzlich krankt das gesamte Werk daran, dass Lahm eben nicht erklärt, wie man Fußballer wird. Er erklärt lediglich, was ihm passiert ist, während er es wurde und während er es ist, aber nicht warum die Dinge diesen Lauf nehmen. Was natürlich daran liegen könnte, dass das niemand erklären kann, ohne solche Konstrukte wie Schicksal oder Zufall zu bemühen. Schade, dass Lahm, wie auch der olle Kahn, stets in diese Falle tappen, den mehr oder weniger zufälligen Ausgang von Ereignissen ihren eigenen Entscheidungen zuzuschreiben und damit später auf „Managerseminaren“ die Menschheit zu nerven. Immerhin hat Philipp Lahm den Titel nicht ausgewählt. Bei der dafür verantwortlichen Dame bedankt er sich im Vorwort des Buches. Wer einen etwas gescheiteren, aber auch etwas gescheiterteren Fußballprofi über sein Wirken, seine Machtlosigkeit, seine Entwicklung im Profifußball reden hören möchte, dem sei dringend zu „Tom meets Zizou“ über Thomas Broich geraten.
Sachliche Fehler im Buch muss sich wohl eher das Lektorat ankreiden lassen. Löws Singsang ist bei Lahm „schwäbisch“, er nennt die Engländer einmal im Fußball „die Briten“ und Franck Ribéry, geboren und aufgewachsen in Boulogne-sur-Mer, attestiert er eine „südländische Mentalität“, obwohl Boulogne-sur-Mer auf der selben Breite wie Portsmouth, Köln und Dresden liegt. Das wäre nicht der Rede wert, wenn es nicht darüber Auskunft gäbe, wie Worthülsen gerne mal Realitäten erzeugen. Ein Nord-Nord-Franzose ist bei Lahm ein „Südländer“ was ist er selbst aus dem 400 Kilometer weiter südlich gelegenen München dann? Ein Pinguin steht zu vermuten.
Denn Pinguine können nicht so gut reflektieren, und in diesem Buch, das als Ratgeber verpackt ist wer hat sich das nur ausgedacht? erzählt Lahm fleißig an der seinigen Realität entlang. Das ist für all jene ermüdend, welche all die Länderspiele und Bayernspiele selbst gesehen haben, die Lahm nacherzählt. Denn wenn es eine Erkenntnis aus Lahms Schilderungen dieser Spiele gibt, dann jene, dass Fußballer tatsächlich nichts denken, während sie spielen, und Trainer tatsächlich nur Platitüden in der Pause absondern à la „Konzentriert Euch!“ oder „Wollt Ihr ins Finale? Dann zeigt es auch!“. Was alles so weit in Ordnung ist, nur hätte man diese Banalitäten eben nicht in einem Buch aufschreiben müssen.
Während des Elfmeterschießens gehen Spielern wie Lahm folgende Gedanken durch den Kopf: „Der geht rein, rein, REIIIIIN [sic]. Den hält er, hält er, NEINNNN [sic], doch nicht.“ Derartige überwältigende introspektive Einsichten sind durchaus mal 20 Euro im Originalpreis wert.
„Seit ich beim FC Bayern spiele, hatte ich nie 3 Spiele in Folge verloren.“ Lahm nach 3 Niederlagen in Folge. |
Hat er ein Tor verschuldet, so zum Beispiel im EM-Finale 2008 wie auch im Halbfinale zuvor, räumt er dies freimütig ein, was Philipp Lahm wirklich ehrt. Noch mehr würde es ihn allerdings ehren, wenn er nicht sofort ein „aber die anderen“ nachschieben würde. Wenn er nicht sofort im Duktus des großen Fußballverstehers erklärte, dass solche Gegentore immer die Verkettung ganz vieler Fehler auch anderer Spieler seien. Womit er natürlich prinzipiell Recht hat, und doch will sein Schuldeingeständnis klingen wie das eines, naja, Unter-30-Jährigen, was er, siehe da, tatsächlich auch ist.
Zu Philipp Lahms Verteidigung darf man vorbringen, dass er, was doch wirklich überrascht, zur Zeit der WM 2010 gerade mal 26 Jahre alt war. Weshalb auch mein Tweet von letztens Gültigkeit behält, dass er mit dem Buch wenigstens bis nach dem Ende seiner Karriere hätte warten sollen. Dann wäre etwas mehr zu erzählen gewesen und er hätte eine größere Distanz dazu, vielleicht wäre ihm sogar der eine oder andere lesenswerte Gedanke bis dahin gekommen.
So ist das Buch auch deshalb extrem wenig erhellend zu lesen, weil er außer dort, wo es sich nicht vermeiden lässt Völler bei der EM 2004, Magath, Hitzfeld, Klinsmann, van Gaal als die in Frage kommenden Trainer keine Namen nennt. Bei der EM 2008 soll schlechte Stimmung im Team geherrscht haben, Streitereien, vergebliche Aussprachen, man sei sich nicht besonders grün gewesen. Aber Namen fallen keine. Einerseits wiederum ehrenvoll, andererseits dann auch ein überflüssiges Buch.
Böse Zungen behaupten, Lahm habe das Buch vor allem deshalb schreiben lassen, um der Frage zu begegnen, dass er schwul sei. Das hätte er auch kürzer haben können, mit einem öffentlichen Brief à la Arne Friedrichs Freundin. Der Rest ist bis auf die vier genannten Kapitel reinste Nacherzählung von Ereignissen, die jeder selbst am TV gesehen hat ohne dass sich irgendein Mehrwert ergibt. Mal abgesehen davon, dass Lahm immer wieder mal heult, wenn er verletzt wird oder ausgewechselt oder Beides. Aber selbst das ist ja seit dem TV-Interview nach dem Halbfinal-Aus 2010 gegen Spanien keine neue Erkenntnis mehr. Und ja, das ist uns allen am Ende lieber, dass einer heult, als wenn er keine Regung bei einem Misserfolg zeigt.
„Der FC Bayern ist der einzige deutsche Verein, der die Champions League gewinnen kann.“ |
Die wenigen Sympathien, die er damit sammelt, zerstört er allerdings wieder, indem er sich ausgiebig dem ebenfalls von seinen Äußerungen bekannten Phänomen der kognitiven Dissonanz hingibt. (Man denke an seine Aussage nach dem 2:5 im Pokalfinale gegen Dortmund, als er sicher war, dass sein Team die „bessere Mannschaft“ gewesen sei.) Als Schalke 5:2 in Mailand gewinnt, schaltet er zur Halbzeit den Fernseher aus, weil er es nicht erträgt, dass eine „schlechtere Mannschaft“ als die seinige gegen Mailand gewinnt. Diese kognitive Dissonanz ist für einen Profi sicher gesund, als nach außen getragene Realitätsverweigerung aber seinem Image eher wenig förderlich.
Seine Ausführungen zur Europa League machen gar beinahe die Wiedereinführung der Prügelstrafe zu einem akzeptablen Tagesordnungspunkt. Froh sei man im gesamten Club gewesen, als man 0:4 in St. Petersburg verlor, dass dieser ungeliebte Wettbewerb endlich zu Ende sei. Als man in Braga antrat und Werder zeitgleich gegen Real Madrid spielte, habe man sich kaum motivieren können, denn: „Der FC Bayern ist ein Champions-League-Verein.“ Und seiner Auffassung nach werden Gruppendritte der Champions League in die Europa League „strafversetzt“. Man wünschte sich wieder und wieder Saisons, in denen der unmotivierte kleine Bengel aus der Vorstadt von nun an ständig in der Europa League antreten muss, auf dass er Demut gegenüber dem Fußballsport lerne.
Der FC Bayern ist aber ohnehin der tollste Verein überhaupt, das quillt an allen Ecken und Enden aus dem Buch heraus. Was natürlich einer, der gerade mal bei einem anderen Club (VfB Stuttgart) gearbeitet hat, am allerbesten beurteilen kann. Bei all den Zeilen sieht man Lahm förmlich vor sich, wie er die Dinge seinem Texter mündlich erzählt, wie er dabei bübisch lacht und strahlt, wenn er von seinen Erfolgen erzählt und wenn er in Schlaumi-Schlau-Manier den Fußball erklärt, gerade so, wie man es aus seinen Interviews kennt. Und wie man es aus seinen Interviews kennt, dass da nichts an Wort- oder Gedankenwitz aufblitzt, auch keinerlei Befähigung zur Betrachtung von außerhalb, so ist auch das komplette Buch ein ermüdendes Nichts, ein stating-the-obvious auf 265 Seiten.
Um es mit dem Titel des 11. Kapitel dieses Buches auszudrücken, der da, nur echt ohne Fragezeichen, lautet: „Wie geil ist das denn …“ leider gar nicht.