Es gibt selten Gelegenheiten, ganz bestimmte Wörter zu benutzen. Viele von ihnen hat man auch quasi schon aus seinem Wortschatz entfernt. Man benutzt sie (so gut wie) nie. Amortisiert gehört bei mir zur vom Aussterben bedrohten Gattung der Vokabeln. Die Denkweisen des Amortisierens sind mir leider zu fremd, ich sage leider, weil ich weiß, was dieses leider für mich bedeutet, ich erlebe es ja tagtäglich.
Es gibt auch eine Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter (wer mag, kann danach googlen, wer nicht mag, lässt es sein), darunter so Perlen wie „Pennäler“, „Mummenschanz“, „Tusnelda“ oder „Veitstanz“. Darin befinden sich natürlich nur allgemein vom Aussterben bedrohte Wörter, nicht aber die bei mir persönlich vom Aussterben bedrohten Wörter. Ich kenne so einige, die ich auch immer wieder benutze, indem ich sie denke. Ihre tatsächliche Benutzung in Form von Bewegung der nötigen Muskelpartien rund um meine Stimmbänder ist in diesen Fällen aber selten geworden, meist, weil diese Wörter auch so eine Deutschtümeligkeit ausstrahlen, derer man sich ja nicht verdächtig machen möchte. Ich mag zwar die deutsche sprache, sogar in Großschreibung, jedem auf die Nase binden muss ich das deshalb aber noch lange nicht, und schon gar nicht in Situationen, in denen bei Menschen, wo die deutsche Sprache nicht so mächtig sind, eben jener Verdacht aufkäme.
Drollig gehört leider auch zu dieser Liste, also zu meiner persönlichen Liste der vom Aussterben bedrohten Wörter. Und das liegt nicht nur daran, dass die Gelegenheiten, dieses Wort zu benutzen, rarer werden. Seine Nutzung bringt den Nutzer in die Gefahr, dass er selbst so angesehen wird, wie das, was das Wort bezeichnet.
Am vergangenen Mittwoch aber kam mein Hirn nicht umhin, dieses Wort zu denken (und hätte ich Mitschauer gehabt, auch zu benutzen). Anlass war die Partie Chelsea gegen Liverpool, die von niemand Geringerem als Dr. Merk gepfiffen wurde, der ja auch immer mit den selben Assistenten zu Werke geht. Und einer dieser beiden Assistenten ist ein drolliger rothaariger Mann mit Halbglatze, den man eher als Bibliothekar der örtlichen Stadtbibliothek oder als überforderten Dozenten der Informatik erwarten würde, welcher sich beim Belehren der Studenten so schwer tut, dass es einem beim Zuschauen peinlich wird. Nicht aber würde man diesen drolligen Mann inmitten eines englischen Fußballstadions erwarten, voll mit Zigtausend fanatisierten und euphorischen Fans, inmitten gestandener Profis mit gestählten Körpern und dickem Bankkonto, mit Designeranzügen zu Hause im Schrank und noch dickeren Autos vor dem Stadion.
Der gute Mann scheint verpflanzt wie eine Unschuld vom Lande, die plötzlich unter lauter Luden in der Stadt den Hilfssheriff geben soll. Diese Diskrepanz ist es, die sein Auftreten in den großen Stadien der Fußballwelt so bemerkenswert macht. Und gleichzeitig erleben wir wieder, dass die Schiedsrichter, so sie nicht gerade Collina heißen, aus einer anderen Subgruppe der Menschheit stammen als diejenigen, die den Sport ausüben:
Drollig, der Mann mit der roten Halbglatze.