Noch ist es in dieser Saison 2018/19 nicht ausgeschlossen: dass die Tordifferenz über die Meisterschaft entscheidet. Auch, wenn das zugegebenermaßen äußerst unwahrscheinlich ist, drei Spieltage vor Saisonende und bei 16 Toren, die Borussia Dortmund gegenüber dem FC Bayern München aufholen müsste. Doch unmöglich ist es nicht. Schließlich begann die gar nicht mal so kurze Geschichte der anhand der Tordifferenz entschiedenen Meistertitel in der Bundesliga mit einem Sieg am letzten Spieltag, der bis heute der höchste Bundesliga-Sieg der Historie ist.
Immerhin sechsmal entschied am Ende die Tordifferenz über den Meistertitel in jetzt 56 Saisons, also in mehr als jeder 10. Saison ist dies der Fall. Allerdings ließ man sich einerseits 15 Jahre seit Gründung Zeit, bis es zum ersten Mal soweit war, andererseits ist es seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts kein einziges Mal in inzwischen 19 Jahren mehr vorgekommen. Und dass die Zahl der mehr erzielten Tore – statt der reinen Tordifferenz – über den Titel entschieden hätte, gab es noch nie. Gleich beim ersten Mal wäre es aber fast schon soweit gekommen.
1977/78
Die Mutter aller Schlachten um die Tordifferenz fand an jenem letzten Spieltag der Saison 1977/78 statt, als Jupp Heynckes fünfmal im Rheinstadion traf, Otto Rehhagel mit Borussia Dortmund unterging und die Kölner so weise waren, sich nicht auf dem Vorsprung von 10 Toren vor Beginn des Spieltags auszuruhen, sondern ihrerseits beim 5:0 gegen den FC St. Pauli nicht mit Toren sparten. So blieb es bei am Ende drei weniger kassierten Toren als Konkurrent Borussia Mönchengladbach. Damit gelang der zweite und letzte Bundesligatitel des 1. FC Köln, der auch gleich noch das Double gewann (damals eine echte Besonderheit).
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | 1. FC Köln | 86:41 | +45 | 48:20 |
2. | Borussia Mönchengladbach | 86:44 | +42 | 48:20 |
3. | Hertha BSC | 59:48 | +11 | 40:28 |
1982/83
Zwei Nordclubs ganz oben, und nur der Unterschied einer um 8 Tore besseren Tordifferenz machte den HSV zum Meister vor Werder Bremen, gerade mal vor zwei Jahren wieder aufgestiegen nach dem bislang einzigen Abstieg aus der ersten Bundesliga. Der Drittplatzierte VfB Stuttgart hatte mit 80 sogar noch ein Tor mehr erzielt als der Meister HSV mit seinen 79 Toren, aber weniger Punkte gesammelt. Keine allzu dramatische Angelegenheit war diese Entscheidung, auch, wenn es natürlich alles am letzten Spieltag noch hätte kippen können.
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | Hamburger SV | 79:33 | +46 | 52:16 |
2. | Werder Bremen | 76:38 | +38 | 52:16 |
3. | VfB Stuttgart | 80:47 | +33 | 48:20 |
1983/84
In dieser Saison kam es zur seltsamen Konstellation, dass der Hamburger SV beim VfB Stuttgart quasi ein Finale um die Meisterschaft austragen durfte oder musste. Dieses gewann er zwar auch mit 1:0, es hätte aber noch ein paar Tore mehr gebraucht, um den VfB Stuttgart auch in der Tabelle zu überflügeln. Dass sogar drei Mannschaften am Ende punktgleich waren, gab es auch nur dieses eine Mal, aber Mönchengladbach hatte sich diesmal – anders als 1978 – offenbar ohnehin nicht mehr ernsthaft Chancen auf den Titel ausgerechnet.
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | VfB Stuttgart | 79:33 | +46 | 48:20 |
2. | Hamburger SV | 75:36 | +39 | 48:20 |
3. | Borussia Mönchengladbach | 81:48 | +33 | 48:20 |
4. | FC Bayern München | 84:41 | +43 | 47:21 |
1985/86
„Kutzop“.
Und das ist dann auch schon die komplette Geschichte dieses Dramas, bei dem der Tabellendritte Bayer Uerdingen immerhin auf die stolze Tordifferenz von +3 Toren kam.
Bliebe vielleicht noch zu erwähnen, dass dies der einzige Elfmeter war, den Michael Kutzop in seiner gesamten Profikarriere vergab. Und dass den Bremern immer noch ein Remis beim letzten Spiel in Stuttgart gereicht hätte, welches aber mit 1:2 verloren ging, während die Bayern zu Hause Borussia Mönchengladbach mit 6:0 abfertigten. Alles live verfolgt am Fahrradradio meines Kumpels, damals. Immerhin hatte der Fußballgott ein Einsehen und erlaubte Werder Bremen 1988 schließlich den Titel in der Bundesliga. Zu spät allerdings für Rudi Völler, der da schon über die Alpen nach Italien entfleucht war und somit zwar Weltmeister ist, aber nie Deutscher Meister wurde (und auch in Italien kein Landesmeister).
Ich schweife ab, hier geht es ja um die Entscheidung per Tordifferenz. Voilà:
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | FC Bayern München | 82:31 | +51 | 49:19 |
2. | Werder Bremen | 83:41 | +42 | 49:19 |
3. | Bayer Uerdingen | 63:60 | +3 | 45:23 |
1991/92
Die sportlich schwärzeste Stunde der Frankfurter Eintracht fand mit einem 1:2 bei Hansa Rostock statt, woraufhin der VfB Stuttgart, der seinerseits erst spät in Leverkusen in Unterzahl zum Siegtreffer kam, mal wieder Meister wurde, wie das früher öfter der Fall war. Erstaunlich, dass man bei Borussia Dortmund diese einzige Saison mit 20 Clubs in der 1. Liga, in der man bis zuletzt im Meisterrennen war, kaum je erwähnt. In jedem Fall einer der spannendsten letzten Spieltage überhaupt in der Bundesliga-Historie.
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | VfB Stuttgart | 63:32 | +30 | 52:24 |
2. | Borussia Dortmund | 66:47 | +19 | 52:24 |
3. | Eintracht Frankfurt | 76:41 | +35 | 50:26 |
1999/2000
Ballack, Unterhaching, Eigentor.
Auch diese Geschichte ist schnell erzählt, bzw. dürfte allgemein bekannt sein – und erneut war der FC Bayern Nutznießer dessen, dass er eine bessere Tordifferenz als sein Kontrahent aufwies. Da ahnte man bei Bayer Leverkusen allerdings noch nicht, was die Saison 2002 noch für sie bereithalten sollte …
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | FC Bayern München | 73:28 | +45 | 73 |
2. | Bayer Leverkusen | 74:36 | +38 | 73 |
3. | Hamburger SV | 63:39 | +24 | 59 |
Der Glaube daran, dass sich die Saison 2018/19 in diese Liste einreiht, ist hier trotz meines Tweets von jüngst quasi nicht vorhanden. Spannend wäre es aber natürlich schon und wie der aktuell etwas schräge Spieltag gezeigt hat, auch nicht komplett unmöglich.
Neu dabei:
2022/23
Club | Tore | Diff | Punkte | |
1. | FC Bayern München | 92:38 | +54 | 71 |
2. | Borussia Dortmund | 83:44 | +39 | 71 |
3. | Rasenballsport Leipzig | 64:41 | +23 | 66 |
Wer die Saison 2000/2001 mit dem Meister der Herzen alias der Vierminuten-Meisterschaft des FC Schalke 04 hier vermisst, dem sei gesagt, dass der FC Bayern damals die schlechtere Tordifferenz aufwies, durch den späten Ausgleich beim Hamburger SV aber eben einen Punkt mehr sammelte als Schalke. Ohne diesen Punkt wäre man punktgleich gewesen – und bei dieser Entscheidung hätte dann Schalke die Nase vorn gehabt. Dem war aber nicht so, weshalb diese Saison auch nicht in dieser Zusammenstellung auftaucht. Dramatische Saisons gab es aber auch so schon genug. Nur seit 2012 ist da nicht mehr allzu viel Drama gewesen, Baby.
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