Das wichtigste vorweg: Die Sache mit dem Namen auf der Eintrittskarte ist ein Scherz. Niemand fragt danach, auch nicht stichprobenartig, zumindest an den Eingängen, an denen ich mich ins Stadion begeben habe.
Möglicherweise trägt die Tatsache, dass ich hier und auch andere an anderen Orten davon erzählen, dass der Name des Ticketbesitzers überhaupt nicht überprüft wird, dazu bei, dass das in Kürze doch geschieht. Mag sein; an jenem Samstag aber hätte jeder späte Käufer von Karten noch Glück gehabt, und wäre unkontrolliert (in Bezug auf seinen Namen und den auf der Karte) ins Stadion gekommen.
Nun aber der Reihe nach:
Nachdem das Eröffnungsspiel der Deutschen hielt, was es versprach und die Italiener beim Training fünfe gerade sein und vor allem ins Tor ihres Testspielgegners purzeln ließen, machte ich mich also folgenden Samstag um 13h auf in Richtung Dortmund. Das war leichter gesagt als getan, denn als der RE um 13.39h im Duisburger Hauptbahnhof einlaufen sollte, hatte er erstmal fünf Minuten Verspätung. Fünf Minuten an einem WM-Tag mit dem sich mir später erschließenden Chaos verbuche ich aber noch unter Höflichkeitsfünfminuten, sofern man keinen Anschlusszug auf Kante genäht hat. Hatte ich nicht, also waren die fünf Minuten für mich kein Problem. Anders stellte es sich schon dar, überhaupt erst an Bord des Zuges zu kommen. Proppevoll, wahlweise auch knüppelvoll war der Zug und mir blieb nur ein Sitzplatz auf der Treppe, eingepfercht zwischen Massen von anderen Menschen, die fast alle kein Deutsch, sondern andere Sprachen sprachen.
Hinter mir standen drei Schotten und unterhielten sich. Schotten höre ich immer gerne beim Reden zu, weil das meine Komplexe ob meines harten deutschen Akzents beim Gebrauch von Englisch verringert. Neben mir und unter mir waren schon mehrere echte Trinibagonier, so hatte es zumindest den Anschein. Rechts hinter mir drei Asiatinnen, vor mir noch ein paar Undefinierbare und direkt vor mir ein Velberter mit seinem Sohn sowie ein Opi, der sein Hemd schon mächtig durchgeschwitzt hatte.
Ist ja erstmal abschreckend, wenn man das so sieht, ein komplett durchgeschwitzter Mann, doch nur wenige Haltestellen später sollte ich mich bereits im selben Zustand befinden. Die Luft war zum Schneiden und die doch höchst sicheren Züge der Deutschen Bahn wackelten bedenklich in jeder Kurve und beim Anfahren. Bis auf den letzten Quadratzentimeter voll besetzte Regionalexpresse gibt es eben auch in NRW nur selten und so fuhr der Zug doch um Einiges langsamer als sonst. Ein- und Aussteigen war nur noch über die (Ge-)Beine meiner Person möglich und nachdem Essen passiert war, war eigentlich gar kein Zusteigen mehr für Außenstehende drin.
[photopress:u_bahn2.jpg,full,centered]
Drinnen hoffte ich zunächst, dass die Fahrt möglichst schnell vorübergehen möge, nach kurzer Zeit aber kamen der Vater mit seinem Sohn und der durchgeschwitze Opi ins Gespräch und siehe da: Der Opi war ein echter Fußballliebhaber und gar Augenzeuge der WM 1974. Interessiert ließ er sich erstmal das Ticket des Vaters für das heutige Spiel zeigen und erzählte dann davon, wie leicht es 1974 war, eine Karte zu kaufen. Einfach ins Reisebüro gehen, sich die gewünschten Karten aushändigen lassen, bezahlen, und wieder gehen. 1974 stand angeblich nicht mal die Paarung auf der Karte, weil man schon Karten kaufen konnte, als die Gruppen noch gar nicht feststanden. Heute, zur WM 2006 konnte unser Opi aber keine Karten bestellen, weil er gar keinen Computer geschweige denn Internet hat, und nur dort wurden ja die Karten verkauft. „Ich bin da etwas rückständig.“. Macht nix, Opi, in Angola oder Togo hat auch nicht jeder Internet und somit auch keine Karten bestellen können.
[photopress:WM_Ticket2.jpg,full,centered]
So würde er heute also leer ausgehen, anders als 1974. Immerhin brachte es unser Opi auf drei Partien bei der WM 1974, nämlich Holland — Bulgarien 4:1 im Westfalenstadion sowie Zaire — Brasilien 0:3 im Waldstadion („Die Brasilianer gingen schnell in Führung und hatten dann keine Lust mehr“, was wir hier bestätigt finden) und das legendäre Zwischenrundenspiel Deutschland — Schweden 4:2 im Düsseldorfer Rheinstadion.
Schweden, Schweden… da war doch was? Genau, der Waggon war zu mehr als 50% voll mit in gelb gekleideten Fans der Schweden, was wiederum nicht gleichbedeutend ist damit, ein Schwede zu sein. Von den Millionen Idioten, die sich ein T-Shirt kaufen, auf dem „Sweden“ statt „Sverige“ steht, war hier schon die Rede, auch in diesem Zug waren sie wieder zu Dutzenden anzutreffen. Wie sich später herausstellen sollte, gehörte mein Begleiter und Sitzplatznachbar, der für unsere Karten verantwortlich zeichnete, ebenfalls zu jenen Trägern eines T-Shirts mit „Sweden“-Aufdruck. Immerhin, er hatte sich wenigstens auch optisch dem WM-Turnier angepasst. Die meisten der Schweden-Fans im Zug jedenfalls sprachen deutsch. Das sollte sich schnell ändern, sobald wir den Hauptbahnhof erreicht hatten.
Die Türen öffneten sich, die Menschen strömten aus dem Zug und Sauerstoff endlich wieder in meine Lungen/mein Hirn. Nachdem ich wieder beatmet wurde, ging ich runter in den Hauptbahnhof, wo es ebenso voll war wie zuvor im Zug: WM-Atmosphäre. Auf dem Vorplatz trommelten und sangen die Trinibagonier, dass es mich schon packte. Eine äußerst friedliche, begeisterte Stimmung herrschte vor und endlich habe ich auch Bilder zur Verfügung von dem Bahnhofsstadion, das in Dortmund errichtet wurde.
[photopress:bahnhofsstadion1.jpg,full,centered]
Eine nette Idee: aus Baugerüsten wurde eine nicht gerade kleine Stadionimitation gebaut, mit einer riesigen Folie überhängt, auf der schwatz-gelbe Fans Fahnen schwenken. Darin eingelassen blitzen die ganze Zeit an verschiedenen Orten Kameras auf, gerade so, als würden Fans Fotos schießen. Untermalt wird das Ganze von ziemlich lauten Fangesängen, die ebenso vom Band eingespielt werden wie Kommentatorenschnipsel. Dazu kann man auf dem Platz vor dem Bahnhof durch einen “Spielertunnel” auf dieses Stadion zulaufen.
Schöne Sache, vor allem abends, wie hier auf dem unteren Bild, recht wirkungsvoll.
[photopress:bahnhofsstadion2.jpg,full,centered]
Dazu noch der pakistanische Taxifahrer, der die Menschenmengen aus dem Wagen heraus mit seinem Handy filmte, die Mädels, die Promotion machten und freundlich strahlten, die Umsonst-WM-Ausgabe der WR und allerbestes Wetter, perfekte Stimmung an diesem Tag. Der weitere Weg mit der U-Bahn zum Stadion war unkompliziert und gleichzeitig fantastisch, wie die Schweden bekannte Melodien „Alles außer Dortmund ist Scheiße“ oder „Ihr habt bezahlt, jetzt könnt ihr gehen“ mit irgendwelchen schwedischen Texten sangen und überhaupt alle friedlich feierten. Elektrisierend.
Doch vorher sollte ja noch das Spiel England — Paraguay in der Westfalenhalle geschaut werden. Wie auch dort schon Gänsehautstimmung pur herrschte, wann es zum einzigen Mal ein bißchen Ärger gab und wieso die Gelb-Rote Karte für Trinidad & Tobago in Wahrheit gar nicht zählt, lest Ihr im zweiten Teil.
Auswertung der Prognosen der EM-Qualigruppen
Mit Aufstockung der Europameisterschaft von 16 auf 24 Teilnehmer fragten wir uns zu Beginn der Qualifikation dazu, ob diese Qualifikation wörklöch so schröcklöch öde werden würde, wie nach allgemeiner Einschätzung zu befürchten stand. 25 Menschen teilten ihre Tipps für die jeweils drei ersten Plätze mit.
So endete die EM-Qualifikation schließlich:
A: Tschechien, Island, Türkei, Niederlande, Kasachstan, Lettland
B: Belgien, Wales, Bosnien-Herzegowina, Israel, Zypern, Andorra
C: Spanien, Slowakei, Ukraine, Weißrussland, Luxemburg, Mazedonien
D: Deutschland, Polen, Irland, Schottland, Georgien, Gibraltar
E: England, Schweiz, Slowenien, Estland, Litauen, San Marino
F: Nordirland, Rumänien, Ungarn, Finnland, Färöer, Griechenland
G: Österreich, Russland, Schweden, Montenegro, Liechtenstein, Moldawien
H: Italien, Kroatien, Norwegen, Bulgarien, Aserbaidschan, Malta
I: Portugal, Albanien, Dänemark, Serbien, Armenien
Dabei fallen vor allem drei Gruppen heraus, die nicht das Erwartete brachten: Gruppe A mit dem Scheitern der Niederlande, der Direktqualifikation Islands, Gruppe F mit dem schwachen Abschneiden von Griechenland und Finnland sowie dem überraschenden Gruppensieger Nordirland und Gruppe I, in der weder Serbien noch Dänemark erreichten, was man allgemein erwartet hatte oder hätte.
Das Gegenteil stellten vor allem die Gruppen E (England – Schweiz – Slowenien) und H (Italien – Kroatien – Norwegen) dar, in der fast alle Teilnehmer sogar die endgültige Platzierung korrekt voraussagten. Ebenso wenig überraschen die Gruppensiege von Spanien und Deutschland, wobei es da bei den weiteren Platzierungen schon variabler zuging.
Nun also zur Auswertung.
Korrekt getippe Platzierungen
Ingesamt gab es 9 Gruppen à 3 Platzierungen zu tippen, macht 27 Tipps pro Teilnehmer. 25 Personen nahmen teil. Macht 675 Tipps. Davon waren – unten im Datenteil grün gekennzeichnet – 205 völlig korrekt. Dies entspricht einer Quote von 30,4 Prozent richtiger Tipps. Die Zahl der völlig richtigen Tipps schwankte dabei zwischen 7 (26 Prozent) und 14 (52 Prozent) von 27.
Direktqualifikanten
Interessanter als die Frage nach den genau richtig getippten Platzierungen war ja aber die Frage, wie genau man vorhersagen könne, welche Teams sich schließlich qualifizieren bzw. die Playoffs erreichen. Der Ausgang der Playoffs wurde in der gesamten Auswertung nicht berücksichtigt, weil deren Teilnehmer damals natürlich nicht bekannt waren und dementsprechend auch nicht eingeschätzt werden konnten.
Im zweiten Schritt wird also die Zahl der richtig getippten direkt Qualifizierten betrachtet. Hier gab es 9 Gruppen à 2 Qualifikanten, also 18 Tipps von 25 Teilnehmern, macht 450 Tipps. Davon waren 265 Prognosen korrekt, womit sich ein Prozentwert von 58,9 Prozent als zutreffend erwies. Die Zahl der richtigen Tipps variierte hier zwischen 12 (67 Prozent) und 8 (44 Prozent).
Korrekt getippte Qualifikanten
Doch im Kern war ja die Frage, ob man ahnen könne, welche drei Teams in einer Gruppe die für die Qualifikation relevanten Plätze erreichen würde. Hier waren also wiederum 675 Tipps nötig gewesen. Allein danach ausgewertet, wie viele dieser drei Teams, egal auf welcher Position die Qualfikation bewältigten, waren nicht weniger 534 Tipps von 675 zutreffend, somit 79,1 Prozent. Der Zahl der korrekten Tipps schwankte dabei zwischen 17 (63 Prozent) und 24 (89 Prozent). Im Schnitt wurden also nur 20,9 Prozent von 27 zu prognostizierenden Qualifikanten nicht korrekt prognostiziert.
Ob man das noch interessant nennt, muss trotz des unerwartet schlechten Abschneidens von vor allem Griechenland und den Niederlanden jeder für sich selbst entscheiden.
Hier würde man auch trotz der unerwartet spannenden Gruppe mit Deutschland darauf plädieren, die Eingangsfrage, ob die EM-Quali „schröcklöch öde“ werden würde, in Bezug auf die Ergebnisse mit ja beantworten.
Die Daten im Detail – vor allem interessant für die, die teilnahmen – folgen hier jetzt in drei Versionen, entsprechend der obigen drei Auswertungsverfahren. Kann man durchscrollen oder jeweils mit diesen Links ansteuern (funktioniert nur in der Komplettversion des Textes).
1. Platzierung genau richtig
2. Direktqualifikanten korrekt
3. alle sich überhaupt Qualifizierenden richtig
Unzweifelhaft natürlich, dass alle Werte noch wesentlich günstiger ausgefallen wären, wenn ein gewisser „Trainer Baade“ nicht mitgetippt hätte.
PS: Was hier erstmals auffiel, ist, dass eine solche Qualifikation gerade mal 13 Monate dauert – in diesem Fall von September 2014 bis Oktober 2015, also nicht annähernd die zwei Jahre, die die Pause zwischen zwei großen Turniere beträgt.