Letzte Chance! Letzte Gelegenheit! Sind Sie dabei!*
Ja, die D-Mark 2012 steht an. Räusper, die „Euro“ 2012 natürlich. Europameisterschaft also, und zwar zum letzten Mal.
Nicht zum letzten Mal überhaupt, zum letzten Mal aber in ihrer wunderbar passgenauen Form von 16 Teilnehmern bei 8 Viertelfinalteilnehmern aus ziemlich genau 53 Verbänden, die versuchen, sich für dieses Endturnier zu qualifizieren.
Kein Rechnen ist nötig, kein Schieber, um zu ermitteln, wer am Ende der Vorrunde weiterkommt, und schon gar nicht so ein unerhörter Vorgang, eine Mannschaft ausscheiden zu lassen, weil sie im Vergleich mit einer anderen Mannschaft schlechter abgeschnitten hat, obwohl ihre Gegner in den Spielen völlig andere waren. Unzulässige Quervergleiche werden bei dieser letzten der gediegenen Europameisterschaft nicht nötig sein. Hier kommt weiter, wer erster oder zweiter in seiner Gruppe wird, und nicht wie von 2016 an derjenige, der schon bei der Aufteilung der Gruppen das doppelte Losglück hatte, selbst drei vergleichsweise leichte Gegner zu erhalten, während andere Teams drei schwierigere Gegner zu spielen haben.
Die mangelnde Fairness dieser Regelung ist ja scheinbar schon bei den Weltmeisterschaften von 1986 bis 1994 kaum jemandem aufgestoßen, hier an dieser Stelle tut sie es, weshalb man diese letzte EM noch einmal richtig genießen sollte.
Reicht es unter diesem, sport-historischen Gesichtspunkt aus, jene spezielle letzte EM ihrer Art daheim vor dem Fernseher zu genießen, gibt es trotz der nur schleppend vorangehenden Entwicklung der Infrastruktur insbesondere in der Ukraine aber auch Gründe, Polen und die Ukraine mit seiner physischen Anwesenheit zu beglücken.
Die geographische Nähe ist bei einer Europameisterschaft wohl eher kein Argument, auch wenn Polen von Berlin aus in einer knappen Stunde zu erreichen ist. Von der westlichen Bundesrepublik aus ist es wesentlich weiter bis nach Polen, aber auch immer gleich weit, ob man nun nach Portugal, nach Griechenland oder in die Ukraine fliegt. Nämlich genau von hier bis zum Flughafen. Den Rest macht der Pilot.
Nein, man kann und sollte nach Polen und in die Ukraine reisen, weil diese nicht in Katar liegen.
Katar?
Ja, der Aufschrei bei der WM-Vergabe nach Katar war doch im Dezember unter Anderem deshalb so groß, weil man in dem Land als Fußball-Fan keinen Alkohol konsumieren könne.
In Polen und der Ukraine muss man sich da aus mehreren Gründen keine Sorgen machen. Zunächst mal liegen die beiden Länder im blauen Teil des Alkohol-Gürtels in Europa. Und blau ist dabei nur in Ansätzen eine Metapher. In Polen und der Ukraine trinkt man Schnaps. Und zwar gefälligst jeder, auch die, die eigentlich Abstinenzler sind. Denn über die Sitten in Polen liest man:
Wer keinen Alkohol trinkt, ob generell oder an einem bestimmten Abend, muss damit rechnen, dies sehr deutlich zum Ausdruck bringen zu müssen. Anderenfalls wird ihm entgegen seines Wunsches dennoch welcher eingeschenkt werden.
Wer es jedoch wirklich à la typischem Fußballfan auf die Spitze treiben will, der fährt gleich weiter durch in die Ukraine, denn dort geht es angeblich folgendermaßen zu:
Alkoholkonsum auch am Vormittag schon ist in der Ukraine nichts Ungewöhnliches und gilt nicht als Anzeichen für Alkoholismus. Stärkere Alkoholika werden nicht in Liter bzw. Mililitern bestellt, sondern in Gramm. Eine Bestellung für einen Wodka lautet so also zum Beispiel „100 Gramm“.
Ganz wie beim stilvollen Dealer bestellt man in der Ukraine seine Ration also in Gramm. Da macht es dann auch nichts, dass weiterhin wie bei jeder UEFA- oder FIFA-Veranstaltung nur genau eine Biermarke ausgeschenkt werden wird, die noch dazu nicht unbedingt die schmackhafteste sein muss. Man vergnügt sich einfach schon nach Landessitte lange vor dem Stadionbesuch.
Bliebe die Frage, was in der Ukraine überhaupt als Anzeichen für Alkoholismus gilt. Und ob der schleppende Fortschritt bei den Vorbereitungen auf die EM eventuell etwas mit dieser Mentalität zu tun haben könnte, wenn der Konsum auch am Vormittag schon nicht unüblich ist.
Die Stadien sollen am Ende alle neu oder renoviert sein, allerdings ist ungewiss, ob man sie als Fan rechtzeitig wird erreichen können. Für die EM wichtige Autobahnprojekte in Polen werden gerne mal auf die lange Bank geschoben, letztens wurde mal wieder gestreikt. In der Ukraine ist man nicht mal sicher, ob man mit den Stadien überhaupt rechtzeitig fertig werden wird. Wie bei allen großen Fußball-Turnieren (außer dem in Kolumbien geplanten) wird aber auch in Polen und der Ukraine am Ende zumindest das, was für das Turnier selbst nötig ist, fertig sein.
Hotelbetten und Straßen- sowie Zugverbindungen sind da wie gesagt ausgenommen. Macht aber nicht allzu viel. 88 Prozent der Kartenwünsche bei den neutralen, nicht an die Verbände gehenden Kontingenten wurden ohnehin aus Polen und der Ukraine selbst bestellt. Die Leute dort werden wohl wissen, wo sie schlafen und wie sie wann rechtzeitig zum Stadion reisen müssen. Spitzenreiter bei den Bestellungen aus den sonstigen Nationen übrigens rein zufällig: Deutschland, mit etwa 2 Prozent Bestellungen bei den neutralen Karten.
Das einzig Positive an der für die EM 2016 in Frankreich geplante Erweiterung auf 24 statt 16 Teilnehmern ist, dass es möglicherweise wieder ein Spiel um Platz 3 bei Europameisterschaften geben wird, wie es immerhin bei Europameisterschaften bis 1980 schon einmal Usus war. Und das wäre schließlich begrüßenswert, wie man weiß, wenn man denn weiß.
Also, auf nach Polen und in die Ukraine, zum letzten Europameisterschaftsturnier seiner Art. Und komme jetzt bitte niemand damit, dass man doch ein Achtelfinale und damit nicht weniger als acht (!) KO-Spiele dazu gewönne. Zu welchem Preis, fragt sich, zu welchem Preis.
* Losverkäufer auf Kirmes und Jahrmärkten benutzen stets den falschen Imperativ. Sollten sie es als Frage meinen, ist es falsch betont. Einer der Gründe, neben der Tatsache, dass man sowieso nie gewinnt, nicht an deren sicher oft illegalen Treiben teilzunehmen.