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Räuberpistolero Ralf

Das Aktuelle Sportstudio im ZDF ist nicht der richtige Ort, um über Depressionen zu reden, so langsam sollte man es einsehen. Und so legitim es auch ist, dass Ralf Rangnick nicht alle Begebenheiten rund um seine Erkrankung auspacken möchte — dann soll man ihn schlicht nicht einladen oder zumindest nicht zu diesem Thema befragen.

Denn was soll es anderes sein als eine Räuberpistole, wenn er davon schwadroniert, dass er „das Essverhalten geändert“ habe, um von einer Depression zu genesen. Das mag ein kleiner Baustein der Lösung sein, aber zu suggerieren, das sei alles gewesen, grenzt vor einem Millionenpublikum schon an böswilliger Irreführung. Auch dass er in einer Klinik war, ist nicht schön und vermeintlich nicht förderlich für die Reputation, erwähnt er aber nur auf Umwegen (… wenn ich mal wieder zu Hause war …).

Wie gesagt, seine verschleiernden Antworten sind legitim. Wenn es ein Thema gibt, bei dem man nur halbe Wahrheiten erzählen darf, dann ja wohl bei seinem eigenen Gesundheitszustand. Dann muss man damit aber auch nicht in ein Interview gehen, welches dies zum Thema hat. Und das ZDF ist sicher nicht dafür zuständig, Ralf Rangnick auf dem Arbeitsmarkt zu reintegrieren, was wohl seinerseits die Hauptmotivation für sein Erscheinen war.

Was man allerdings schön lernen konnte, war der Unterschied dazwischen, wenn ein Millionär zum Arzt geht oder Kassenpatient Michel. Ralf Rangnick wird von Kopf bis Fuß auf alle möglichen Hormonwerte durchgecheckt, es gibt eine sehr konkrete Diagnose, die offensichtlich schnelle Heilung ermöglicht. Kassenpatient Michel stopft man mit dem handelsüblichen Zeug voll, in der Hoffnung, dass es entweder wirkt oder ausreichend sediert. Insofern doch ganz erhellend, was es gestern im ZDF zu sehen gab, wenn auch nicht im beabsichtigten Sinne.

Ansonsten sollte man im Sportstudio einfach über Sport berichten, statt Verwirrung zu stiften. „Essverhalten geändert“ — wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen über diese Räuberpistole.

5 Kommentare

  1. FF FF

    Jo. Der Rangnick-Auftritt fügt sich wunderbar in den Niedergang des „Aktuellen Sportstudios“ ein.

    Man müßte direkt mal recherchieren, wann dort das letzte Interview von Belang stattfand. Für mein Empfinden: es muß ewig lang her sein. Alte Bundesrepublik, Vor-Mauerfall-Ära.

    Nichts gegen Herrn Steinbrecher oder Frau Müller-Hohenstein.

    Aber jeder Fluschi-Weichspüler ist Zyankali dagegen. Dieses betuliche, harmlose, infantile, softe, stets am womöglich Interessanten Vorbeifragen. Diese vorauseilende Unterwerfungsgestik, diese gebückte Geschmeidigkeit, dieses fein säuberlich herausgeschraubte Rückgrat. Diese automatenhaft lächelnde Redundanz.

    Das „Aktuelle Sportstudio“, früher ein stolzes Flaggschiff des Sportjournalismus, ist zu einer Art Dorfteich-Tretboot denaturiert und allenfalls bei schwersten Schlafstörungen zu empfehlen.

    Willkommen in der totalen Belanglosigkeit, im medialen Nirwana.

  2. wawerka wawerka

    Ich teile deine Ansicht über den unpassenden Auftritt Rangnicks, wobei das „in die Medien tragen“ selbst schwerster privater Fährnisse des Schicksals heutzutage offenkundig eine Selbstverständlichkeit geworden ist.

    Warum auch immer….

  3. Tschuldigung, aber so abwegig finde ich die Kausalkette „Essverhalten geändert“ – „Depression weg“ gar nicht. Wenn ich Salat, Gemüse und Mineralwasser weglasse, bessert sich meine Stimmung auch sofort. Erheblich.

  4. Das Aktuelle Sportstudio ist keine Medizinsendung, aber die Gesprächsführung von Michael Steinbrecher war unglaublich schlecht. Dreimal hat er versucht, ihm einen Verein anzulachen, was Rangnick ziemlich souverän abgeblockt.
    Steinbrecher hat es versäumt nachzufragen.

    Das Rangnick sein Essverhalten geändert hat, mag lächerlich wie banal klingen, zeigt aber, daß nicht selten Essstörungen mit psychischen Erkrankungen einhergehen. Bei Depressionen spielen auch biochemische Prozesse eine Rolle, die auch mit einer veränderten Ernährung zumindest ein wenig reguliert werden können.
    Für dieses Wissen muss man kein Mediziner sein, Steinbrecher hätte im Vorfeld des Gesprächs nur ein wenig recherchieren müssen, oder einfach nachfragen.
    Geändertes Essverhalten/Nahrungsumstellung ist natürlich nicht die eine einzige therapeutische Maßnahme. Aber das hat Steinbrecher auch nicht interessiert.
    Warum hat man nicht noch einen Psychiater oder Sportpsychologen eingeladen, der Zusammenhänge erklärt?
    Stress, Überforderung, Ausgebranntheit und Depresion sind – wie wir inzwischen wissen – kein seltenes Phänomen im Hochleistungssport, zu dem auch Trainer gehören.

    Es war eine ganz schlimme Sendung.

  5. sternburg sternburg

    Ich hasse mich ja selbst dafür, aber ich möchte mich da mal selbst zitieren:

    „ASS. Um es aufzulösen: Kein zwingender Umschaltimpuls, aber eine große Chance vertan, dem Thema klinischer Depression (denn darum handelt es sich bei dem Helden-Euphemismus “Burn Out”) auch außerhalb des Fussballkosmos etwas mehr Aufrichtigkeit zu vermitteln. Was Ragnick nicht vorzuwerfen ist, der Mensch schuldet einem schließlich nicht die Weltrettung und bringt zu respektierende Transparenz innerhalb des Fussballkosmos. Warum spekuliert eigentlich niemand darüber, dass der zur nächsten Saison zu Schalke zurückkehrt?

    Aber davon ab, und das ist natürlich keine originelle Erkenntnis: Fuss, Buschi, Tut und Raubritter oder Kerner, das mag alles auch Geschmackssache sein. Aber wer Michael Steinbrecher nicht widerlicher findet, als de Camargo, Marin und Rösler zusammen, den kann ich nicht ernstnehmen. Wer zum Henker verantwortet dessen Ansetzung? „

    So behämmert das von Rangnick gewesen sein mag, nimandem von uns schuldet der Mann eine korrekte Aufklärung über Krankheitsprozesse. Mag er eine Gelegenheit versäumt haben, mein ganz großer Held zu werden, aber mit Katzenscheisse beworfen gehört ausschließlch das ZDF.

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