Eine interessante Frage, so man zu den Nerds gehört, kam letztens bei den Tweets von @artus69 nach Borussia Dortmunds Partie beim RSC Anderlecht auf:
Zählen Pfosten- und Lattentreffer zu den „shots on target“ in einer Statistik, die während und nach dem Spiel mal wieder Interpretations-Hinweise für die Spielblinden geben soll?
Die Antwort war meines Wissens: nein.
Ein Schuss an den Pfosten oder an die Latte zählt nicht als „shot on target“, also nicht als Schuss aufs Tor. Denn dieser Schuss würde ja unabhängig von der Reaktion des Keepers zu keinem Tor führen. Der Ball prallt ab, nicht immer zurück ins Spielfeld. Meistens ins Toraus und so gibt es dann Abstoß und das Stadionpublikum hat ebenso wie alle Kommentatoren und späteren Zeitungsreporter etwas zum Atem Anhalten und Berichten bekommen.
Dabei gelangt man aber wieder mal zu einer Frage, so als Fußball-Nerd und Zahlen-Skeptiker rund um den Fußball, der den Umgang mit diesen Werten in Frage stellt, oder ihn zumindest gerne diskutieren möchte:
Ist ein Schuss an den Pfosten, den der Torwart mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr erreicht hätte, nicht als viel wertvoller einzuschätzen als ein Schuss, den der Torwart mühelos pariert, der aber als „on target“ zählt? Bei welchen von beiden Situationen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tor fallen könnte, größer?
Und müssten nicht deshalb ganz knapp vorbeistreichende Torschüsse ebenso als wertvoller und eben nicht als vermeintliches Scheitern („off target“) bewertet werden, als ein Schuss, der zwar „on target“ ist, aber eben genau deshalb kein Problem für den Torwart darstellt, weil er aus der jeweiligen Position heraus viel zu sehr „on target“ ist, in dem Fall dann „auf den Mann“ und deshalb zu keinerlei Gefahr führt?
Wenn die zentrale Frage »Bei welchen von beiden Situationen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Tor fallen könnte, größer?« lautet, muss die Antwort wohl lauten: Sie ist in beiden Situationen gleich groß, weil aus beiden kein Tor resultiert ist. Die benannte Statistik bewertet die Schüsse nicht nach ihrer Gefahr im Spiel, sondern nach dem Resultat.
Das »target« bezeichnet im vorliegenden Fall ja nicht das Ziel als angestrebten Zustand, in dem der Ball die Linie überschritten hat, sondern das Tor als räumlich verwurzelte Umrahmung desjenigen Bereiches über der Torlinie, den der Ball zur Erzielung eines Tores durchdringen muss (Ausnahmen bezüglich der Erzielung eines Tores ohne die Durchdringung dieses virtuellen, senkrecht auf der Torlinie stehenden Rechtecks, seien hierbei vernachlässigt).
Konsequenterweise sind die Kriterien »Torgefahr« und »Problem für den Torwart« schön und gut, die Statistik aber eben ungeeignet, vorschnell von jenen oder vom »vermeintlichen Scheitern« zu sprechen. Aus der on/off-Target-Unterscheidung können deshalb keine direkten Rückschlüsse auf die Qualität der verbundenen Chancen gezogen werden – das Kriterium, anhand dessen gezählt wird, lässt derart feinfühlige Wertungen nicht zu.
Richtig.
Somit ein weiterer schlimmer Fall der Kategorie „man zählt alles, was man halt so zählen kann“, doch ist Fußball weiterhin nicht im Entferntesten Baseball, denn hier hat es inhaltlich nichts zu bedeuten. Weshalb sich die Frage stellt, warum man sich dann überhaupt darum schert, wie viele „shots on target“ es gab und welche „off“ desselbigen waren.
Kein „schlimmer“ Fall im Sinne seiner reinen Existenz, aber „schlimm“ im Sinne dessen, dass hier Aussagekraft vorgegaukelt (oder vorgegundeleyt) wird, die schlicht nicht exisitert.
Ich finde nichts Schlimmes an der Statistik selbst. Man kann sich beispielsweise einen Eindruck davon verschaffen, vor wessen Tor sich das Spiel eher abgespielt zu haben scheint oder (anhand des Verhältnisses von on/off) ob ein Team Verzweiflungsschüsse absetzte. Da gleichen sich ja Glück und Pech bei den knapp-vorbei und kullernd-drauf schon in 90 Minuten so weit aus, dass der grobe Eindruck anhand dieser vier Zahlen dem vergangenen Geschehen auf dem Platz üblicherweise recht nahe kommt – insbesondere, wenn man die auf ausführlicheren Statistikseiten daneben stehenden Zahlen zur Verteilung der Schussrichtung und -distanz (5m/16m/außerhalb) dazu ansieht. Ein ohne weiteres diskretisierbarer Sport wie es Baseball zu sein scheint ist Fußball deshalb natürlich noch lange nicht.
Bei den mir bekannten (ich schaue ja kaum nach Abpfiff noch hin, muss ich einschränkend sagen) Fällen der dargelegten Statistiken scheint es aber doch ein heutzutage arrivierter Wert zu sein.
Torschüsse überhaupt plus bzw. versus Torschüsse aufs Tor oder eben nicht.
Wenn Letzteres aber doch in seiner Einfältigkeit, die die wahren Gefahrenwerte eines Torschusses nicht berücksichtigt, kaum eine Aussagekraft besitzt, warum interessiert man sich dann überhaupt dafür? Und stellt es dar? Will jetzt nicht die „Tore pro Schiedsrichter“-Keule rausholen, aber es ist doch quasi sinnfrei. Ich muss das hier nicht weiter erläutern. Ein aus kurzer Entfernung, aber spitzem Winkel am Pfosten vorbei ins Aus rauschender Ball hat doch viel mehr bedeutet, als ein Weitschuss aus 35m, den der Torwart locker wegfängt. Da ist doch inhaltlich in diesem Wert keine Aussagekraft vorhanden.
Wie oben gesagt finde ich es auch nicht „schlimm“, fordere auch keineswegs seine Abschaffung, frage mich aber, was das einem Betrachter des Spiels nun sagt, oder aber eben – nicht zuletzt – auch jemandem, der das Spiel nicht betrachtet hat, und dann diesen Wert nachliest.
„Shots on target“ vermittelt den Anschein, als sei es ein Wert an sich, innerhalb des Gestänges gezielt (und auch geschossen) zu haben, das ist aber nicht der Fall, im Gegenteil.
Okay, sorry, ich wiederhole mich, steht alles schon oben.
Wenn es dir darum geht, dass die Statistik für sich genommen kaum eine Aussagekraft hat, muss ich aber fragen, worin für dich der Unterschied zum Ballbesitz oder den gewonnen Zweikämpfen liegt. Beim Ballbesitz wurde bis vor wenigen Jahren in meiner Wahrnehmung unisono so getan, als sei viel Ballbesitz nicht nur gut, sondern sogar notwendig. Bei den Zweikampfwerten scheint mir das heute noch der Fall zu sein, obwohl doch klar ist, dass die Werte extrem davon abhängen, in welchen Bereichen ein Team den Gegner anläuft, ob es ihm die Flügel oder die Mitte lässt und hier doppelt oder dort umzingelt, wie aggressiv die Offensive gegen den Ball in Zweikämpfe geht usw. usf.. Oft genug werden Zweikämpfe ja auch nicht einmal mit dem Ziel geführt, den Ball zu gewinnen, sondern nur, um den Gegner zu beschäftigen oder zu verzögern – der verlorene Zweikampf ist ein Gewinn an Zeit und Defensivordnung.
Überhaupt, Zweikämpfe, das ist doch alles vom Abdrängen unter Einsatz des Körpers bis zum entscheidenden Luftduell um den heranfliegenden Flankenball – noch mehr in einen Topf geworfen, noch weniger Aussagekraft. Wenn es um Irreführung geht, darum, eine Anhäufung differenziert du bewertender Einzelereignisse zu einer pauschalen Zahl einzustampfen und die dann zu bejubeln, sticht der Umgang mit der Zweikampfstatistik doch alles andere Zahlenwerk aus.
Wenn man hier ins Archiv hinabstiege, fände man Beiträge, die genau das aussagen, was Du gerade kommentierst. Ein verlorener Zweikampf ist nicht per so ein Negativum. Er kann so gewollt sein, weil er andere Aufgaben erfüllt.
(Der Inhalt Deines zweiten Absatzes kommt hinzu, weil ohnehin nicht klar ist, es keine offizielle Definition gibt, was wann wie als Zweikampf (oder Kopfballduell etc.) definiert wird. Ohne seriöse Definition aber keine validen Daten. Und selbst wenn die Daten valide wären, griffe Absatz eins wieder ein. )
Es ist schlapp gesagt sinnlos, das Spiel in diesen sehr kurz gegriffenen (und unseriös definierten) Zahlen zu fassen: Weil es zu viele Aspekte gibt, die diese Zahlen nicht berücksichtigen. Damit will ich mich nicht als Technik- oder Progressionsfeind gerieren, im Gegenteil, ich bin für ständige Progression und auch mehr und noch mehr Progression im Fußball. Die Darstellung dieser Daten aber als „Krücke“ für Leute, die das Spiel an sich nicht lesen, ist eher ein Schritt zur Boulevardisiserung als zu einem Erkenntnisgewinn, wie Fußball funktioniert.
Und Boulevard, der Daten kreiert, die nichts mit dem eigentlichen Spielverauf zu tun haben, oder auch meinetwegen eine „Baseball-isierung“ des Spiels, das braucht kein Mensch.
Schönes Beispiel ist diese „Minuten pro Tor“-Quote beim Vergleich einer unseriösen Zeitung letztens zwischen Stürmer X, der nicht allzu viel gespielt hatte, und Stümer Y, der recht viel gespielt hatte.
Wo ist da die Berücksichtigung des Spielstands und der jeweiligen Anforderungen der spielenden Mannschaft an den Spielausgang? Wenn Spieler X immer nur eingesetzt wurde, wenn das Team einen Vorsprung zu verteidigen hatte, was soll es dann bringen, ihm seine soundsoviel Minuten vorzurechnen und diese mit dem Kollegen Y zu vergleichen, wenn in dieser seiner Spielzeit das Team stets auf einen Torerfolg aus war?
Diese Zahlenbullshiterei ist ja nicht neu, aber ihre Absurdität auch nicht.
Nochmal zurück zu den Torschüssen. Wie werden eigentlich Schüsse gewertet, die der Torwart pariert, obwohl sie (wahrscheinlich) neben das Tor gegangen wären? Fällt das in den Interpretationsspielraum des Erhebers? Heißt das womöglich: ein Pfostenschuss wird nicht als Torschuss gewertet, ein Ball den der Torwart hält, bevor er an der Pfosten gehen konnte als Torschuss? Weil der Erheber ja nicht weiß, ob er an den Innenpfosten und rein, an den Pfosten oder neben das Tor gegangen wäre.
Ein weiteres Beispiel, dass diese Statistik wenig aussagekräftig ist …
Aus dem gestrigen Weltfußball-Liveticker Zürich – Gladbach:
56′ – Gilles Yapi-Yapo bringt immerhin einen Torschuss für den FCZ an. Allerdings ist die Bezeichnung Torschuss etwas fragwürdig, denn dort, wo der Ball hinfliegt, ist weit und breit kein Gehäuse in der Nähe.
OT, ja, aber man findet solche Gemmen ja doch eher selten (von dem Namen ganz zu schweigen).
Nebenbei: besser als das Gehäuse selber kann man ein Tor ja kaum treffen, insofern – ne?
… letztlich ist diese Fragestellung reine Makulatur – denn kein Hahn dieser Welt kräht in verstaubten Büchern nach all diesen Zahlen! Wir sind kurzzeitig beeinflusst von all den Statistiken und letztlich doch nur sterblich am Ergebnis orientiert. Gott sei Dank.
Eine Statistik, die einerseits Torschüsse sowie andererseits gefährliche Torschüsse (knapp vorbei oder durch den Keeper auf eine Art und Weise pariert, die nur dem Geübten zugänglich ist) zählt, die wäre in der Tat wünschenswert.
Spricht ja auch nichts dagegen, dass ein so weiches Kriterium immer ein subjektives Abbild zeichnet, denn ein subjektives Abbild ist besser als gar keins. Wobei das allerdings auch vom Zeichner abhängt. Sollten z.B. die Noten-Würfler des ehemaligen Fachmagazins das beurteilen, dann wäre mir das schwachsinnige aber wenigstens eindeutig definierte Kriterium on target lieber.
Was für eine verschwendete Diskussion, sorry.