Tja, so war es dann. Seit ich geboren wurde, war ich Fan der Nationalmannschaft. Na, okay, seit ich das erste Spiel sah, 1:2 gegen Brasilien im Test in Stuttgart 1981. Ich war Fan dieser Einrichtung, ob nun Klaus Fischer spielte oder Marko Rehmer, ob Gerd Strack oder Oliver Neuville. Ich saß bei jedem Länderspiel vor dem Fernseher. Es hatte mich halt gefangen.
Ich hab mich sogar gefreut, dass in Kneipen sonst keiner bei den Quali-Spielen gegen Georgien zuschaute, dass ich der einzige echte Fan in meiner Umgebung war, der auch das letzte Spiel gegen Albanien noch schaute, Aserbaidschan, Kasachstan, Lettland.
Ich hab mir die Augen zugehalten, als Italien den Elfmeter im WM-Finale 1982 schoss, ich ging extra raus in den Garten meines Elternhauses, ich habe mit den Skatbrüdern meines Vaters um für mich als Kind horrende 5DM gewettet, dass wir das Halbfinale gegen Frankreich gewinnen, ich sah den viel zu späten Kameraschnitt, der verdeckte, dass auch der Franzose verschoss.
Ich sah Toni, der gehalten hat wie ein Arsch, ich sah Briegel zu spät kommen gegen Burruchaga. Ich sah Vogts gegen Dänemark scheitern.
Ich hab mich über den WM-Sieg von 1990 gefreut, noch mehr über das wahnwitzige Achtelfinale gegen Holland, ich freute mich über ein 7:1 in der Quali gegen Finnland im Ruhrstadion, ich mochte sogar Jogi Löw und ich habe – nicht geweint – aber getrauert, als „wir“ 2000 ausschieden, so unglaublich unfähig, überhaupt einen Ball ins Tor zu bugsieren.
Ich bin 1986 um 1h in der Nacht aufgestanden, um eine quälend langweilige Partie gegen Marokko zu sehen, in der ausgerechnet Matthäus das 1:0 schießt, ich habe mir diverse 3:3 gegen Finnland angeguckt, 1:5 gegen England, ich hab eigentlich immer zugeschaut, ob als Schüler, Student oder Diplomierter. Ich konnte nie weggucken, für mich war das immer der Kern des Fußballs.
Van Basten gegen Kohler oder auch Rummenigges Kopfball, Völlers Tore, Ballacks Freistöße, es war einfach immer alles, was ich sehen wollte. Für mich war das sehr viel mehr Fußball als alles andere. Herausgewachsen aus dieser Situation als Kind, hatte das für mich nichts mit Nationalismus zu tun. Es war einfach meine Mannschaft.
Die, in der Mirosklov Klose kurz vor Schluss noch seinen Salto schlägt, in der Marco Bode seine Kunst zeigt, in der Pierre Littbarski in seinem ersten Spiel direkt zwei Tore schießt, für die man aufsteht, auch wenn sie bei der Mini-WM in Südamerika plötzlich mitten in der Nacht spielt. Die Mannschaft, die noch nicht „diemannschaft“ war, sondern bei der sich noch Schumacher und Stein stritten, später Kahn und Lehmann.
Ich war nicht „Fan“, das war einfach meine Mannschaft.
Die zwei 0:1 gegen Nordirland, der Stinkefinger, der so extrem dröge Berti Vogts, der jähzornige Beckenbauer, die Titel, Klinsmann, wie er erst Europameister wird und dann Bundestrainer. Das 4:4 gegen Schweden und natürlich auch das 6:1 gegen Ghana im Testspiel in Bochum.
Wie Hergeth für Thon auflegt, wie man gegen Tschechien scheitert. Macenda, das Getanze um den nächsten Bundestrainer, und gleichzeitig all die Spiele auf den Färöer, in Schottland, in Kasachstan, wo keiner zuschaut, wie man alleine in der Kneipe sitzt und immer noch hofft, na, das wird doch wohl was?
Ich hab geschwitzt beim 1:1 gegen England, 1990 und 1996, gejubelt, weil es beide Male klappte, ich hab gegreint und – nein, geweint hab ich nur einmal: nach dem 1:2 gegen Algerien.
Mich interessierte nicht, ob Engelhardt spielt oder Hannes, ob Butt oder Jancker. Hauptsache „wir“ gewinnen. Ob Breitner noch kickt oder Ribbeck sich vergibt. Ob Häßler gegen Wales noch köpft oder Strack noch Albanien hinrafft. Wichtig war immer nur, dass wir gewinnen.
Aber jetzt, nach dem WM-Sieg 2014, bin ich angekommen. Jetzt brauche ich nichts mehr. Dieser WM-Titel hat mich satt gemacht. Ich habe seit 1990 darauf gewartet, das noch einmal zu erleben, dann ist es passiert und jetzt brauche ich nichts mehr.
Und das ist das beste, was passieren konnte, um diese EM jetzt wieder zu genießen. Ich habe all dem Bierhoff’schen Sermon abgeschworen, ich brauche keine Hashtags, keine Pur-hörenden Querpass-Tonis, keine Dr. Zahnarzt-Beats, keine Jungspunde, die so langweilig wirken wie früher das Testbild und ja, natürlich bin ich vor allem selbst mit „der Mannschaft“ alt geworden. Der WM-Titel war aber das Ende einer langen Reise. Nun kann von mir aus Belgien gewinnen oder hoffentlich Island. Ich bin kein Fan mehr, ich brauche nicht den dröflsten Mercedes-Spot, Jogi kann popeln, es ist mir egal, ich hab alle Bilanzen durchdekliniert. Jetzt ist einfach nur EM, für mich ohne – in erster Linie – Deutschland, aber hoffentlich mit ganz viel Fußball.
Daumen hoch. Und viel Spaß bei der EM. Denn darum geht es ja. Jetzt.
Das ist eine schöne Einstellung, auch wenn ich sie nicht ganz teile. Ich drücke nach wie vor der deutschen Nationalmannschaft die Daumen. Mache ich seit 1982. Aber ich bin auch nicht mehr ganz so verbissen, sollte die Nationalmannschaft nicht gewinnen. Ich freue mich aber sehr auf die EM, auch wenn ich nicht so viel werde sehen können. Das war bei der WM anders, da habe ich bis auf zwei Spiele alle gesehen.
Was ich ganz gut beherrsche: Mich dem Schland-Theater entziehen. Ich muss nicht täglich wieder in Kulturpessimismus verfallen, weil irgendwas irgendwie im Fußball wieder den Bach runtergeht. Ich kann das Ganze komplett ignorieren. Diese Fähigkeit wünsche ich manchem Mitmenschen auch. Mehr als das Schland-Theater nervt mich manchmal der Schland-Theater-Genervte.
Aber hey: Es ist EM. EM ist super. Finde ich jedenfalls.
„Der WM-Titel war aber das Ende einer langen Reise.“
So ging es mir beim Schlusspfiff 2014. Und auch in vielem anderen finde ich mich wieder und könnte Cordoba 78 ergänzen oder das 4:2 74 gegen Schweden und und und.
Fussball ist aufm Platz. Der Ball ist rund.
Dann mal viel Spaß bei der EM! Und Nordirland geht doch bestimmt auch, oder? ;)
Ich wette drei Knöpfe, dass Dich der nennenwiresmal Zauber nicht so leicht loslassen wird, wenn es erst mal so weit ist.
Sehr schöner Text. Hoffentlich kannst du die EM dann auch wirklich geniessen ;) Wie gern hätte ich die Spiele der 80er auch live erlebt.
Trainer, hier trennen sich unsere Gedanken von der ersten Zeile an … mir ist gerade furchtbar schlecht.
Als jemand, der 1992 völlig selbstverständlich (von Anfang an) für Dänemark war und 1996 (auch von Anfang an) für Tschechien geht mir das eher nicht so.
Ich bin für Deutschland. Ich mag die jetzige Mannschaft und grundsätzlich bin ich bei allen nervigen bis ekelhaften Auswüchsen bis heute Freund des (Achtung: Pathos) Gedankens, die Jugend der Welt möge ihre Kräfte lieber auf den Spielfeldern wägen statt auf den Schlachtfeldern.
Aber wenn die Unsrigen im Finale gegen Island spielen, dann bin ich nahtlos plötzlich doch für Island. Ohne im Geringsten widersprüchlich zu finden, dass ich uns im Auftaktspiel gegen die Ukraine einen hohen Sieg wünsche, um gut ins Turnier rein zu kommen.
Wir“, „die Unsrigen“ – ja, ich fühle mich ein wenig von diesem Team vertreten. Auf einer ganz abstrakten Ebene, die mir ein wenig emotionale Bindung zu einer sonst wahrscheinlich eher langweiligen Freizeitbeschäftigung beschert. Aber auch wirklich nur ein wenig. Das wird daran liegen, dass ich nie Mitglied in einem Verein war, der Mitglied im DFB ist. Bei meiner Sportart, dem Eishockey, ist das anders: Da ist die Nationalmannschaft immer und fast distanzlos meine Vertretung. Wenn während einer erheblichen Zeitspanne des eigenen Lebens dort Leute spielen, mit denen man noch selber auf dem Eis stand, dann ist das wahrscheinlich deutlich einfacher.
Witzigerweise haben die Verstrahlten mit den geistigen Grenzzäunen durch ihr öffentliches Reiben an dem völlig selbstverständlichen Umstand, dass diese Mannschaft ein selbstverständliches Abbild unserer selbstverständlichen Gesellschaftsstruktur abgibt, mehr für diese Identifikation geschaffen, als jede noch so bescheuerte Marketingaktion von Team Bierhoff mich abzuschrecken in der Lage ist. Ich würde dem gerne mit der gebotenen Ignoranz begegnen. Aber ich kann mich dem Gedanken, welch herrliche Trollierungsmöglichkeiten sich aus diesem Quatsch ergeben, einfach nicht entziehen. Es wirkt wie ein anderes Leben, in dem ich Kneipen noch u.a. danach bewertete, dass man dort „gepflegt gegen Deutschland sein kann“.
Man kann an dem Spektakel EM wahrscheinlich echt mehr Freude haben, wenn man es als genau dies begreift: Ein Spektakel. Bei dem man seiner eigenen Mannschaft die Daumen drückt. Aber daneben auch noch ein paar andere Eisen der Sympathie (und Antipathie) im Feuer hat.
Langer Rede kurzer Sinn: Ich freue mich auf die EM. Es gibt Fußball. Und Anlass, darüber zu reden. Was könnte schöner sein?
Bleibt nur die Frage: Was hast Du denn schon wieder gegen Dr. Zahnarzt-Beats?
Danke, Stefan. Dir auch, im wohlverdienten Blogger-Ruhestand.
Andreas, welche beiden WM-Spiele hast Du denn verpasst? Und ja, ich werde natürlich „schon au“ weiterhin für die deutsche Mannschaft sein. Aber es ist nicht mehr schlimm, wenn es nicht klappt. Das Halbfinale 2010 zum Beispiel fand ich schrecklich, also nicht das Spiel, das auch, aber das Resultat. Wäre jetzt nicht mehr so.
Danke, Carlito. Ja, ich würde schon sagen, dass Nordirland und Wales auf ähnlichem Liebhaber-Level wie Island sind. Irland aber auch sowieso.
Mars, hast hoffentlich Recht.
Tommy, ja, das war durchaus eine deutlich andere Atmosphäre bei der N11 als jetzt. Eigentlich völlig konträr.
Bastards United, tut mir leid, dass Dir schlecht ist. Ich habe hier aber nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Fanboy dieser Mannschaft war. Wobei ich eben das auf dem Platz meinte und beileibe nicht das, was Bierhoff daraus gemacht hat.
Sternburg, glaubst Du ernsthaft, es hätte etwas damit zu tun, ob man je selbst DFB-Mitglied war? Auch wenn der mit 8 Mio Mitgliedern der weltweit größte Einzelschnarch ist – da gucken in Hochzeiten über 30 Mio in diesem Land zu, von denen die meisten noch nie was mit aktivem Fußball zu tun hatten. Aber schön, dass es Dir beim Eishockey distanzlos so geht wie mir früher immer mit der im Fußball.
@Trainer: Zwei Spiele sind natürlich übertrieben. Die gleichzeitig laufenden Spiele habe ich natürlich auch nicht gesehen. Aber das eine 3 Uhr Spiel habe ich nicht geschafft und ein anderes, ich meine Honduras-Ecuador, auch um 0 Uhr, wofür ich mich nicht aufraffen konnte. ;-)
@Trainer: Ich mag Dich trotzdem. (-;
(Aber dieser Pathos in Deinen Zeilen …)
Keine Ahnung, war nur eine Vermutung mich selber betreffend. Wem sich endlich eine Gelegenheit bietet, in „entspanntem Patriotismus“ Deutschlandfahnen-Kondome über die Autospiegel zu stülpen, der braucht das vermutlich eher nicht.
„Dieser WM-Titel hat mich satt gemacht. Ich habe seit 1990 darauf gewartet, das noch einmal zu erleben, dann ist es passiert und jetzt brauche ich nichts mehr.“
Trainer? Gaaaanz sicher? Wäre nicht ein Stern mehr als Italien auf dem Trikot ein Ziel? Genauso viel wie Brasilien? Oder gar… einer mehr als Brasilien? Wär doch was…
ha! du bist zu jung für das schönste wm-spiel aller zeiten: ich war zehn, als deutschland in mexiko-stadt 1970 gegen italien 3:4 n.v. verlor, und ich schmuggelte mich spätabends live vor den neuen farbfernseher. ich kaufte mir wochen später die auf vinyl gepresste radioreportage von kurt brumme und hörte mir ein ums andere mal die schönste niederlage aller zeiten an. rückseite: das 3:2 gegen england im viertelfinale. war jetzt auch nicht so bad, mit uwe seelers rückwärts-köpper zum 2:2, aber nicht halb so schön wie verlieren im sommer gegen italien.
Mann, Trainer, auf die alten Tage wirste noch richtig politisch. Die lahmen Zebras als Alternative für Deutschland (oder wie ich gern sage: Die Nationalelfe).
Kaum wird aus jahrzehntelangem Kackfußball mal sehenswertes Gekicke – sag mal, vermißt du was :P ?
studio glumm hat recht, Trainer. Italien! Da ist noch eine Riesenrechnung offen: Kein Pflichtspielsieg gegen Italien! Vielleicht jetzt endlich bei der EM? Trainer? Dem Azzurro das arrogante Defensiv-Grinsen aus dem Gesicht wischen? Das ist doch ein Ziel, für das man brennen muss!
[…] Heute startet die Euro 2016 und ich habe null Bock auf das Turnier. Trainer Baade geht es ähnlich: Goodbye Deutschland. […]
[…] der Leuchtturm unter Deutschlands Fußballbloggern, schockierte diese Woche mit dem Statement, dass ihm der Turnierausgang weitestgehend mumpe ist. War Marios Traumtor im Finale tatsächlich der krönende Abschluss? Kommt nach Belo Horizonte nix […]
Trainer, Mensch, ich hatte mich so gefreut, dass hier mal wieder was steht, und hab dann doch den Kommentar vergessen. Was ich sagen wollte: schön. Und dass ich Dir nicht glaube.
„Nun kann von mir aus Belgien gewinnen oder hoffentlich Island.“ – Sehr sympathisch. Habe selbst nur ein Spiel der DFB-Auswahl live erlebt, nämlich als dann am Ende Dänemark Europameister war. – Meine Fernsehkneipe ist meistens die Krone, gegenüber vom Spookies. ;-)
Interessanter Weise fing das bei mir schon vor 2014 an. Wir hatten von 2006 bis 2012 eine saugeile Mannschaft, der ich mit jeder Faser meines Herzens einen Titel gewünscht habe. Anno ‚14 war sie bereits über ihren Zenit. Schon im Finale war mein Herz eher auf der Seite Argentiniens.
Und jetzt? Immer noch eine sehr gute Truppe, aber keine mehr, die eine gute Geschichte transportiert. Das tun Belgien, Island und Wales für mich.
Hallo Trainer Baade,
Danke für diesen Beitrag, ich konnte alle Deine beschriebenen Szenen in Gedanken nochmals miterleben ( insbesondere den einsam zurückspringenden Briegel im Finale ‚86 sehe ich noch lebhaft vor mir), habe sie auch damals alle live miterlebt. Und noch viel mehr, so z.B. als Häßler zum Kopfballduell gegen Bulgarien hochstieg und verlor, die deutsche Manschaft far away somit ausschied, nun ja. Auch mir geht es ähnlich, 2014 war ein Punkt erreicht. Was es bringt, dass ein Anstoß nun nach hinten ausgeführt werden darf, will mir nicht in den Kopf. Danke