Zwanghaftes Sammeln wird nicht in allen der UNO beigetretenen Staaten als Störung anerkannt. Glücklicherweise allerdings in den meisten Staaten Europas. Man verhaftet in aufgeklärten Staaten auch keine Kleptomanen mehr. Sondern schickt sie in Therapie.
Gerne macht man sich vor, die Beschäftigung mit Fußball sei eine per se gesunde. Es geht schließlich um Sport, der ist immer gut, und dann auch noch anders als im miefigen Handball oder Eishockey an der frischen Luft. Tatsächlich erlebt man an kaum einem anderen Ort fragwürdigere Fälle der psychisch-physischen Gesundheit als in einem und um ein fortgeschrittenes Stadium, äh, Stadion herum.
Das liegt nicht in erster Linie am Bierkonsum der angesprochenen Zielgruppe. Es liegt auch nicht am Bewegungsmangel, denn ein Stadionbesuch in modernen Zeiten hat seit Einführung jenes Gesangs, der sich mit der Pflicht zum Aufstehen bei speziellen Vereinszugehörigkeiten beschäftigt, eher etwas mit einer Gymnastikstunde, fast schon mit dem Ablauf eines Gottesdienstes zu tun.
Wer Fußballfan ist, leidet jedoch oft an einem besonderen Syndrom, ohne sich dessen bewusst zu sein. „Zwanghaftes Sammeln“ lautet der Fachausdruck. Der Begriff beschreibt treffend, wie sich dies Verhalten des bedauernswerten Fußballfans darstellt. Alles muss notiert, alles muss katalogisiert werden: Zu welcher Zeit man in welchem Stadion war, wie das Spiel ausging, ob das Flutlicht erleuchtet war und welche Temperatur die Bratwurst hatte. Wenn nicht in der eigenen Datenbank, dann doch mindestens in einer dieser kleinen blauen Kladden.
Da reicht es nicht, den Schal vom seltenen Europapokalspiel einzuheimsen. Das Erlebnis wird zu Hause noch in die alle Termine und Ereignisse umfassende mysql-Tabelle eingetragen. Spieltag, Stadion, Ergebnis. Ein Scan oder Foto von der Eintrittskarte gehört selbstverständlich dazu.
Spricht man Betroffene darauf an, warum sie das Gleiche nicht mit ihren Einkäufen oder Spaziergängen machen, bleiben sie ganz verdattert eine Antwort schuldig. Darüber nachgedacht, warum die besuchten Spiele archivierungswürdig sind, während anderes Geschehen dem Vergessen anheim gegeben wird, haben sie noch nie.
Dabei wäre es angesichts von im Internet verfügbaren Datensammlungen ein Leichtes, die jeweiligen Informationen wiederzufinden, wenn man sie einmal bräuchte. Was allerdings ohnehin niemals nötig wird. Den zwanghaften Sammler hält das nicht davon ab, Ordner um Ordner zu füllen, ganze Wände mit den Eintrittskarten zu tapezieren, während Mitlebende darüber nachdenken, morgen ein Abo bei Partnerbörsen abzuschließen, sich am Ende aber doch fürs Ertragen entscheiden.
Besitzt der zwanghafte Sammler eine eigene Webseite, auf der er jeden einzelnen Stadionbesuch auflistet, zählt er als solcher Sammler natürlich auch die Zugriffe. Nach einem Jahr sind es: 13. Denn für die Umwelt ist sein Verzeichnis schlicht belanglos. 13, sofern man seine eigenen Zugriffe nicht mitzählt. In dem Fall wären es mindestens 3650, seine persönliche Historie ruft der Sammler täglich neu auf. Ganz so, als müsse er sich vergewissern, dass er überhaupt existiert.
Je größer der Verein, dem der Sammler folgt, desto besser ist es für ihn. Denn umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er je mit einem der Protagonisten auf dem Rasen ins Gespräch kommt. Wie es war, will er dann wissen, vor 21 Jahren in Klondyke bei jenem Eckball von links, als er extra 7h mit dem Zug anreiste, um das Spiel zu sehen. Der Spieler schaut verwundert von seinem Autogrammtischchen auf. Keine Ahnung sagt sein Blick. Doch das Entsetzen in den Augen des Sammlers hält ihn davon ab, diese Worte auch auszusprechen.
Schnell zurück zur Datenbank gehastet, das Spiel hat doch stattgefunden? Dass es sonst niemanden mehr interessiert, was Dekaden zuvor an jenem Sonntag bei Nebel passierte, hält ihn nicht ab, weiter sein eigener Biograf zu sein. Damit man sich erinnern kann. Damit was bleibt, im Jetzt und auch nach seinem Tod.
Hat der zwanghafte Sammler schließlich das Zeitliche gesegnet, kommt entweder die Müllabfuhr und verpackt die ganzen Ordner in blaue Säcke, welche noch vor Ort im Hintern eines Müllwagens geschreddert werden oder in irgendeinem Rechenzentrum dieser Welt drückt ein Student mit dicken Augenringen in der Nachtschicht auf „Delete“ und gähnt dabei.
Lass mich.
Juhu, Dein altes Avatar, das ich immer so mochte!
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