Es ist eine Binsenweisheit, dass Fußball deshalb so spannend ist, weil man nicht weiß, wie es ausgeht. Was man dabei nicht übersehen darf, ist, dass man auch in der 89. Minute noch nicht weiß, wie es ausgeht. Das wird leider gerne vergessen, was verzeihlich wäre, wenn es sich um viel zitierte EM/WM-Gucker handeln würde. Wer aber in der Materie zu Hause ist, sollte das eigentlich nicht nur nicht vergessen, er sollte es auch nicht vergessen können. Es ist nicht jeden Tag „Barcelona 1999″ oder Afrika-Cup 2010, aber es könnte jeden Tag so sein.
Beim Kicker-Ticker mag man das noch verzeihen, weil es vermutlich niedrig bezahlte Studenten sind, die den Ticker füllen.
Der Einfachheit wegen jetzt dieser beinahe unlesbare Screenshot, damit ich nicht drei Bilder einfügen muss.
Folgende Situation war gegeben: Die Partie Fortuna Düsseldorf – MSV Duisburg ist beendet. In St. Pauli steht es 5:0 für den Gastgeber, die Partie läuft noch. St. Pauli bräuchte noch 5 Tore, um den Relegationsplatz zu erreichen, und niemand weiß, wie lange der Schiedsrichter nachspielen lassen wird.
Das hindert den Menschen am Ticker nicht, bei Abpfiff der Düsseldorfer Partie zu tickern: „… pfeift ab und schickt die Düsseldorfer in die Relegation.“
Gut, hier waren es nur einige wenige Sekunden noch in St. Pauli, würde man vermuten, weiß man aber nicht genau, weshalb Düsseldorf auch noch nicht in der Relegation war. Unschön, aber eventuell verschmerzbar, auch wenn man beim Kicker auch mal eine Qualitätskontrolle seiner Ticker betreiben sollte.
Bei der ARD mag man das nicht so einfach verzeihen, weil da Profis sitzen. Und einer dieser Profis, es ist schon wieder Steffen Simon, ich kann ja auch nix dafür, bläst und tutet aufgeregt in sein Mikrofon, als er die Konferenz zwischen dem Spiel Köln-Bayern und Hertha-Hoffenheim kommentiert, ungefähr in der 60. Minute, als es 0:3 aus Kölner Sicht steht und er rübergeben wird nach Berlin:
„Aus eigener Kraft können es die Kölner nicht mehr schaffen. Was geht in Berlin?“
(Der zweite Satz sinngemäß zitiert, der erste wörtlich.)
Ich verstehe sehr gut den Impuls, die Angelegenheit zu dramatisieren. Selbst wenn er nicht damit wie vermutet den nächsten Porsche für seine hungernde Familie herbeischreien wollen würde bzw. müsste: So ein Impuls ist verlockend.
Die Pointe, die Zuspitzung, sie liegt da. Und das ist nur meine Annahme je häufiger man schon zugelangt hat, je häufiger man diese Grenze schon überschritten hat, die Realität gebeugt, desto niedriger sinkt die Hemmschwelle. Es ist dann nur noch weniger als bei Rot über die Ampel gehen, quasi gar nicht mehr wahrnehmbar für den Täter selbst.
Also ist er wieder drübergegangen, hat die Dramatisierung gezogen. Ich weiß auch nicht, was er dabei denkt, wenn ihm einige Millionen Fußballfans zuhören dass es niemandem auffällt? Dass er ein paar Millionen Leute für doof verkaufen kann, und es fällt niemandem auf?
Dass er damit seinem Arbeitgeber, seinem eigenen Standing gar, einen Gefallen tut? Es ist wohl nur so zu erklären, dass er zu oft schon drüber gegangen ist und die Pointe eingesammelt hat, wo er die Realität nur ein ganz kleines bisschen gebeugt hat und es deshalb heutzutage für ihn wie etwas gänzlich Normales erscheint. Er es womöglich selbst gar nicht mehr merkt.
„Aus eigener Kraft können es die Kölner nicht mehr schaffen.“
Das kann man doch als Sport-, als Fußballreporter niemals sagen, man darf es so konkret nicht mal denken, bevor die Partie nicht abgepfiffen ist.
Man macht sich normalerweise als Klugscheißer (in diesem Fall bin das ich) keine Freunde ich würde aber behaupten, dass man sich langfristig noch weniger Freunde damit macht, wenn man immer wieder mal die Realität zugunsten der Dramatik vor einem nicht gänzlich ahnungslosen Millionenpublikum verbiegt.