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Adleraugen aufblasen

Vertreter, die Eskimos noch Kühlschränke und Bewohnern der Sahara Heizlüfter aufschwatzen, gibt es eigentlich nur in dieser Redewendung, bei der FIFA aber gibt es sie auch in realiter.

Ich hatte in der letzten Saison mal selbst geplant, ein „Chip-O-Meter“ einzuführen, es dann aber aus diversen organisatorischen Gründen nicht begonnen. Ein Chip-O-Meter, das zählen sollte, wie häufig überhaupt die Frage diskutiert werden muss, ob ein Ball im Tor war oder nicht. Natürlich sollte dieses Chip-O-Meter beweisen, wie selten dies tatsächlich nötig ist.

Jetzt hat mir Udo Muras diese Arbeit im Nachhinein abgenommen und listet auf, wie häufig eine derartige strittige Situation in der Bundesliga seit 1994 auftrat. Wenig überraschend ist es seltener als 1x pro Saison, womit sich meiner Meinung nach die Frage nach der Verhältnismäßigkeit ein wenig aufdrängt. In einer Saison finden 306 Begegnungen statt, seit 1994 wurden also 5508 Partien durchgeführt. Muras kommt inklusive Phantomtor auf 14 strittige Szenen in 18 Jahren, bzw. von 5508 Partien entspricht dies 0,25 Prozent und in Worten nicht mal einer Situation pro gesamter Saison.

Auch andere empfinden die Einführung der Tortechnik als Nebelkerze oder als vergeblichen Versuch, die Gerechtigkeit zu erhöhen.

Es kommt hinzu, dass niemand weiß, wie sehr Blatter davon getrieben ist, dem aufstrebenden Rivalen Platini — seines Zeichens Gegner von Tortechnik — ans Bein zu pinkeln. Plötzlicher Aktionismus bei jemandem, der sich jahrelang gegen jegliche Technik sperrte, sollte insbesondere bei seiner Vorgeschichte in punkto Machtspielen hellhörig machen.

Und dann wäre da ja auch noch der Umstand, dass mögliche Hersteller dieser Technik bereits FIFA-Sponsoren sind. 36 Profivereine à 300.000 Euro auszurüsten würde in Deutschland die eher irrelevante Summe von 10,8 Millionen Euro ergeben. Weltweit gesehen ist da aber dann doch schon ein erkleckliches Sümmchen im Spiel. Und schnell ist man ebenso bei der Frage, ob neben dem Bau von weißen Elefanten aka nicht mehr genutzten Stadien in der südafrikanischen oder ukrainischen Steppe es nun auch noch nötig gemacht werden sollte, Klubs in ärmeren Regionen der Welt 300.000 Euro aus der Tasche zu ziehen. Wofür sie als Gegenleistung erhalten, dass die Tortechnik weniger als 1x pro Jahr genutzt werden muss/kann weniger als „1x geteilt durch Anzahl der Teams in der Liga“ (bei ungefähr der selben Größenordnung wie bei Muras‘ Daten) pro Jahr genutzt werden kann/muss. In einer 18er-Liga also über den Daumen etwa 1x in 20 Jahren.

Südafrika und die Ukraine sind noch dazu nicht die einzigen Regionen, in denen Fußball gespielt wird. Den gibt es bekanntlich überall. Es möge niemand behaupten, dass „die armen Kinder in Afrika“ hier ein Totschlagargument seien. In diesem Fall sind sie ein legitimes Argument, denn wo bleibt die Verhältnismäßigkeit zum Nutzen angesichts dieser Kosten, die die meisten Vereine kaum werden stemmen können, an denen sich mal wieder ein „FIFA-lizensiertes“ Unternehmen eine goldene Nase verdient? Wo doch ein einfacher Videobeweis in den allermeisten Fällen bereits ausreichen würde. Dann blieben vielleicht noch 1 oder 2 Fälle pro Jahrzehnt, die nicht geklärt werden könnten. Mit einer solchen Quote soll man nicht glücklich werden können? Wäre eine zuverlässigere Angelegenheit als der Motor meines Autos, und diesem vertraue ich mein Leben an. Hier geht es, ich weiß, dass man das in diesem Kontext eigentlich nicht erwähnen darf, aber in dieser Frage geht es nur um Fußball.

Weniger als ein Mal pro Saison …

17 Kommentare

  1. Oha! Da lag ich mit meiner Einschätzung „gefühlt vielleicht an jedem zweiten Spieltag“ ja doch ein klitzekleines bisschen daneben…

  2. Wahrscheinlich passieren diese Grenzfälle an der Torlinie immer bei besonders wichtigen Spielen. Und wenn bei zwei Turnieren hintereinander solche Grenzfälle auftreten, dann ist das schon bedenklich.

  3. Die Wahrscheinlichkeit solcher Fälle steigt und fällt mit der Anzahl der Torschüsse. Mit der subjektiv empfundenen Wichtigkeit eines Spiels hat das nichts zu tun.

  4. wawerka wawerka

    Und dazu kommt für mich immer noch die Frage, wie spielentscheidend denn das Tor / nicht gegebene Tor gewesen wäre? Und wenn man das dann noch in Relation setzt im Vergleich zu spielentscheidenden Situationen wenn der Stürmer aus 1 Meter Entfernung danebenzielt oder der Torwart unbedrängt am Ball vorbeisegelt, dann wird es noch unwichitiger. Und, nicht zuletzt, wäre beispielsweise das Tor der Ukraine gegeben worden, wäre das auch nicht richtig gewesen, denn es war zuvor abseits.

    Irgendwie scheint man mir so lange zu versuchen alle Eventualitäten abzudecken, damit ja keine Fehlentscheidung fällt, bis das Spiel ob seiner dauernden Unterbrechungen und der daraus resultierenden reduzierten Emotionalität tot ist.

  5. netzberg netzberg

    … ich finde es gut, wenn der schiedsrichter pfeift, und niemand besoffenes weiß, wo sein wagen steht … tore stehen jeweils mindestens zwei auf und an dem platz …

  6. sternburg sternburg

    Ohne Dir grundlegend wiedersprechen zu wollen: Wenn man es zulässt, dann heißt das noch lange nicht, dass alle es haben müssen. Klar, für Stukkateur Skripnik wird das ein empfindlciher Kostenfaktor, wenn sie das nächste mal an der CL-Quali teilnehmen wollen. Die armen Kinder in Afrika dürfen aber bestimmt weiterhin erst mal auf sommergewittertaugliche Drainagen und HD-Kameras sparen.

  7. Gunnar Gunnar

    Meine Gedanken zu dem Thema:
    1. Ein Lob an Udo Muras, aber wie sicher ist die Statistik? Er wird sich doch kaum über 5000 Spielberichte angesehen haben. Also ich bezweifle, dass das alles war.
    2. Die Technik würde ja häufiger zum Einsatz kommen, da ja auch öfters sich herausstellt, dass der Ball nicht im Tor war. Insofern wäre das Teil schon etwas ausgelastet.
    3. Wieso sollte das Ding in alle Stadien der Welt? Das Hawkeye ist doch auch nur auf dem Centre Court.
    4. Bei den kolportierten 300.000 € ist aber auch ne große Summe für den Sepp B. mit drin. Das gehe bedeutend günstiger, in 99 % der Fälle könnte man mit den vorhandenen Fernsehkameras entscheiden.

  8. sternburg sternburg

    Du hast da was missverstanden, Gunnar:

    1.) Video-Review ist gerade nicht zugelassen worden. Zugelassen wurde ausschließlich ein System, welches dem Schiri in Echtzeit das Überqueren der Torlinie durch den Ball mitteilt (leider nicht per Stromstoß, das würde posierlich aussehen und das Publikum unmittelbarer unterrichten).

    2.) Die 300.000 € sind die kolportierte Investitiosnssumme. Da hierfür egal ist, wie oft es tatsächlich eingesetzt wird, machen 99 % das Teil nicht einen 1 % günstiger.

    BTW: Wo kann ich darauf wetten, dass die Kosten durch Zwangswartungsverträge die Investitionssummen um ein Vielfaches übersteigen werden?

  9. Dieter Dieter

    In der Bundesliga ist das vielleicht nicht häufig. Aber wie sieht es bei großen Turnieren aus? Da gibt es weniger Spiele, und in der K.O.-Runde ist jedes einzelne Tor wichtiger als in einer Bundesliga-Saison. Bei dieser EM und der letzten WM gab es doch zwei klare Fehlentscheidungen. Wie war es davor? Bis Wembley will ich nicht zurückgehen. Aber 2 Fehlentscheidungen in 2 Turnieren sind erheblicher als die Berechnungen zur Bundesliga.

    Aber ansonsten gebe ich Dir recht. Auf persönliche Animositäten und Möglichkeiten, einem Konkurrenten einen mitzugeben, muß man genau achten. Das ist in manchen Organisationen oft hilfreicher als irgendwelche „sachlichen“ Überlegungen. Bei Sport Inside im WDR wurde über den Plan berichtet, Kunstrasen im Fußball populär zu machen. Das wäre für die beteiligten Firmen auch ein Riesengeschäft geworden. Es gibt bei solchen Geschäften keine wirkliche Konkurrenz, wenn der Anbieter zertifiziert sein muß oder die Abnahme nachher vom guten Willen der UEFA/FIFA abhängt. Auch wenn sich 10,8 Mio. nicht so toll anhören, dann wird da eine gute Marge drin sein, weil die Kosten stark fallen und man (s.o.) keine wirkliche Konkurrenz hat.

  10. Gunnar Gunnar

    @ sternburg:
    Hast mit dem Video-Review natürlich recht. Ich wollte eigentlich nur damit sagen, dass es deutlich günstigere und ebenfalls brauchbare Lösungen gäbe. Kommt mir so ein bißchen vor wie damals Toll Collect vs. Vignetten.
    300.000 für so eine Anlage halte ich für einen Witz. Weiß jemand wie teuer so eine Anlage beim Tennis ist?

  11. (um Missverständnissen vorzubeugen, ich bin nicht derselbe Gunnar wie oben ;-) )

    Die Lösung könnte viel einfacher und billiger sein, indem man nämlich auf sämtliche Technik im Tor und/oder Ball verzichtet und auch keine TV-Kameras im Netz zulässt. Dann ist der Ball halt drin oder nicht drin, der Schiedsrichter entscheidet wie bisher, aber die Besserwisserei wäre weg.
    Bei ca. 99% aller weltweit ausgetragenen Spiele läuft es genau so, in Deutschland z. B. unterhalb der zweiten Liga. Schon in der dritten Liga sind entweder gar keine oder nur wenige TV-Kameras und somit muss man halt die Schiri-Entscheidung hinnehmen und hat auch im Nachhinein keinen „Beweis“, Ende.
    Ja, ich weiß, ist nicht realistisch, als TV-Zuschauer will man natürlich 85 Superzeitlupen aus allen Winkeln und die Turniere sind selbstverständlich viel wichtiger als irgendwelche Amateur-Kicks – aber einfacher wär’s schon.

  12. Dieter, Deine Frage, wie es davor war, beantwortet die SZ:

    Generell ist die Torlinie zu vernachlässigen. Nur dreimal im letzten halben Jahrhundert passierte dort Aufregendes: 1966 das Wembley-Tor, aktuell das Tor der Ukraine gegen England bei der EM – sowie Englands Treffer gegen Deutschland bei der WM 2010.

  13. Dieter Dieter

    @Trainer Baade

    Dann habe ich mit meinem lückenhaften Wissen genau die drei Mal mitgekriegt – cooler Zufall.

    Interessant wäre es doch, die Position der Engländer zu der Frage zu erfahren. Die waren doch bei Turnieren bei jedem der drei Fälle dabei.

  14. Nö Dieter, Du hast nicht drei Fälle zufällig mitbekommen, Dir sind diese Fälle genau deshalb im Gedächtnis geblieben, weil sie so außergewöhnlich waren.

    Und ob Udo Muras ein, zwei oder auch fünf solcher Situationen übersehen hat, ist für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit auch eher unwichtig.

  15. Dieter Dieter

    @Jens Meine Fußballbegeisterung ist nicht sooo groß. Es hätte gut sein können, daß mir eine strittige Torentscheidung beispielsweise der 94er WM in irgendeinem Vorrundenspiel entgangen ist. Das ist für uns als deutsche Fußballfans vielleicht nicht wichtig und nicht im kollektiven Gedächtnis, aber für die Auswertung ist es schon wichtig.

    Bei einer WM mit 36 Teilnehmern finden 51 Spiele statt, bei einer EM mit 24 Teilnehmern 31 Spiele. Beide Turniere finden nur alle vier Jahre statt. Die Ergebnisse von drei Spielen entscheiden über das Weiterkommen, in der K.O.-Runde zählt jedes Spiel. Jedes einzelne Spiel ist also wesentlich bedeutender als eines der 306 Spiele der Bundesliga. Ich möchte das jetzt nicht in Zahlen ausdrücken, dazu fehlt es mir an Statistik-Kenntnissen, der qualitative Unterschied ist in meinen Augen aber offensichtlich. Ob diese Neubewertung ausreichend ist, um die Sache anders zu sehen, steht auf einem anderen Blatt.

    Daß man die Entscheidung für Tortechnik auch anders herleiten kann habe ich ja selbst auch gesagt. Bei Spiegel Online sieht die Satire-Abteilung das ähnlich:
    http://www.spiegel.de/fotostrecke/prominente-zur-neuen-torlinientechnik-fotostrecke-84541-3.html

  16. Hallo,
    kleiner Rechenfehler:

    > In einer 18er-Liga also über den Daumen
    > etwa 1x in 20 Jahren.

    Da ja immer 2 Mannschaften gegeneinander spielen: 1x in 10 Jahren.

    Oder will der Blatter auch da was ändern? …

  17. Kleiner Denkfehler: Die Tore in einem Stadion gehören beide dem Heimverein. Und er wird dann auch die Tortechnik bezahlt haben. Also 1x in 20 Jahren.

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