Manchmal lohnt es sich, olle Kamellen rauszukramen, besonders wenn sie vor der Zeit der großen Bloggerei stattfanden: Reinhold Beckmann bei der SZ, und zwar im Jahre 2003.
„Wichtige Szenen wie Platzverweise, Fouls oder Abseitsentscheidungen waren oft nicht zu sehen.“
So äußert er sich über die Berichterstattung des Fußballs vor seiner Zeit. Schon damals lesen wir also, was nach Beckmanns Ansicht die Rezeption eines Fußballspieles definiert: mit gnadenloser Schärfe zu urteilen, wer wo einen Fehler begangen hat oder haben könnte. „Platzverweise, Fouls oder Abseitsentscheidungen.“ Beckmann offenbart, dass er niemals an die Schaltregel der deutschen Fußballberichterstattung gedurft hätte. Mit der Schönheit und in den Augen jener, die sehen können auch Ästhetik des Spiels hat er nichts am Hut. Stattdessen: Zentimeterdiskussionen führen, wie sie heute bei zweifelhaften Abseitsentscheidungen zum Halse heraushängender Abusus sind. Den Schiedsrichter geißeln oder sich in Konjunktiven verlieren, weil eine vom Platzwart gezogene Strafraummarkierung nicht hundertprozentig den Maßstäben des Pariser Urmeters respektive denen einer Wasserwaage entspricht. Das hat nur sehr wenig damit zu tun, über Fußball zu berichten. Sicher ist es Teil der Berichterstattung, gerade die herausragenden Szenen zu erörtern. Sich dabei aber einzig auf die strittigen zu beschränken, weil man das jetzt kann, weil man die technischen Möglichkeiten dazu hat, wird all den anderen zu berichtenden Komponenten des Spiels nicht gerecht.
Viele junge Menschen, die heute aufwachsen, empfinden es dank Beckmann wahrscheinlich geradezu als dem Fußball immament, dass man sich x Superzeitlupen anschaut, einen Schiedsrichterlehrwart im TV interviewt und den gerade ins Studio schneienden Trainer der benachteiligten Mannschaft direkt mit der Frage nach dieser einen Szene zu konfrontieren. Und finden es genauso normal, nicht über Spielaufteilung, über Entstehungsgeschichte eines Spielzugs oder Fehler im Stellungsspiel informiert zu werden. Dank Beckmann.
Wir sind es nicht nur leid, dass ständig über diese Dinge diskutiert wird, es ignoriert ebenso den Aspekt, dass Fußball ein von Menschen für Menschen geschaffenes Spiel ist, dem Fehler aller Beteiligten immanent sind, und immer noch ist auch der Schiedsrichter ein Mensch. Das ist keine neue Erkenntnis, beides nicht, doch verstellt es den Blick darauf, was eigentlich tatsächlich, innerhalb des Spiels passiert. Wenn man seinen Fokus komplett auf den Schäferhündischen Reflex legt, anderen Fehler nachzuweisen, hat man offensichtlich wenig damit zu tun, sich für Fußball zu interessieren. Man ist nur ein schlechterer Mensch von Sezuan.
„Die Leute wollen weniger Nebensächlichkeiten, etwa den in Super-Slowmotion explodierenden Trainer oder die ausgeleuchtete neue Garderobe der Spielerfrauen. Sie wollen ein Fußballspiel sehen.“
Eine Spielerfrauengarderobe wollte abgesehen von den Frauen, die Fußball wegen der hübschen Kerle schauen (und ohne hier über empirische Daten zu verfügen, darf man annehmen, dass diese Zahl in den letzten Jahren immer geringer geworden ist, prozentual), ohnehin noch nie jemand sehen, ob vor oder nach seiner Zeit. Wir wollen Fußball sehen.
Wie gesagt, lesenswert, unser alter Schlawiner und Kabelschlepper ätzend herablassend behandelnder (achso nee, das war Kerner) Beckmann. Der Rest ist genauso schlecht. Das Tor der Woche und das Tor des Tages sind da noch die geringsten Übel.
Wir wollen Fußball sehen bzw. hören und zwar Fußball.
Ehrlich gesagt geht es mir genauso: Ich kann nicht mehr damit leben, dass jede vermeintlich unklare Entscheidung über die Maßen zelebriert wird, während ich über die eigentliche Klamotte dessen, wie das Spiel überhaupt abgelaufen ist, ungefähr gar nix erfahre.
Deshalb vielen Dank für diesen Beitrag.
Auch wenn ich mich sonst kaum äußere.
Ja, so isses! Besonders unpassend finde ich immer die Szenen, wenn irgendein Stürmer drei Meter übers Tor schießt und dann in 36 Zeitlupen erst einmal analysiert wird, ob es denn ein reguläres Tor gewesen wäre oder ob der Typ im Abseits gestanden hätte. Das ist doch sowas von egal – will ich dann schreien. Aber mich hört eh keiner…
Dazu mein Lieblingsspruch dieses Jahres: Fußball spielt man nicht im Konjunktiv.
Aber würde man sich nicht mit Zeitlupen und Trainerbefragungen auf stumpfe potentielle Fehlentscheidungen und „tolle Spielzüge“ beschränken, müsste man dem Mob etwas von Taktik und Stellungsspiel und so was beibringen. Wo er sich mit der derzeitigen Nichtberichterstattung doch so bequem unterhalten lässt. Und sogar informiert fühlt.
Außerdem müsste man dann eventuell noch öfter aus der – für den Aufbau vertrauter Reklamegesichter so wichtigen – Detailansicht herausgehen. Und statt Fussballern ein Fussballspiel zeigen. Das kann nun wirklich niemand wollen.
Ja, ja, ja! Trainer, du sprichst aus, was ich denke. Weg mit dem Sportschau-Gedönsel („diese Gelbe Karte wird noch wichtig sein“), weg mit all den virtuellen Linien auf dem Feld, die nachweisen, dass Luca Tonis kleiner Finger im Abseits war, der Rest der Hand aber auf gleicher Höhe, weg mit den Schiedsrichterdiskussionen, weg mit Zeitlupen von jeder Bewegung auf der Trainerbank.
Ich will wieder Fußball gucken!
Um dem ‚Mob‘ etwas von sternburgs genannten Dingen beizubringen, müssten es die Herrschaften Reporter ja selber schon begriffen haben. Da fehlt einfach ein Marcel Reif-Ranicki ;-).
Zu Beckmann, zur „gnadenlosen Schärfe“ und zum von Beckmann in dem SZ-Interview zur Sprache gebrachten „guten (Sport-)Journalismus“, der keine Frage des Trikots sei, fällt mir ein, was Roger Willemsen über Beckmanns Talkshow gesagt hat:
Ansonsten widern mich Leute an, die tatsächlich glauben, dass der Rest der Fußballwelt ein achso doofer Mob ist, der ihnen in Sachen Fußballverstand so sehr unterlegen ist.
Eins vorneweg: Dieser Blog ist sowieso einfach nur sagenhaft. Hier kann man Meinungen über Fußball kennen lernen, die fast ausnahmslos überaus anregend und so gut wie nie langweilig sind.
Zur Thematik: Warum gibt es so (zu) wenige, die diesem hier aufs trefflichste dargelegten Gedankengang die absolute Zustimmung zuteil werden lassen, die dieser verdient. Denn leider wird dies eine Minderheit bleiben, genauso wie aus Deutschen keine Engländer werden.
Wer die Möglichkeit hat, sich Spiele der (schon klar: ach in allen Belangen so hoch gelobten) Premier-League im englischen Original-Kommentar anzusehen bzw. zu hören, der versteht den Unterschied.
@ alle Vorkommentatoren: jedes ml ein anderer Aspekt; jedes mal vollste Zustimmung!
Nur mal zur Klarstellung: Ich würde mich sehr freuen, wenn man mich öfter mal an die Hand nehmen, und erklären würde, warum dieses oder jenes heute _tatsächlich_ den Unterschied gemacht hat. Und nicht nur etwas von „Einsatz“ oder „tollen Pässen in die Nahtstelle der Viererkette“ oder (Abseits-) Treffern „zum psychologisch günstigen Zeitpunkt“ labern würde.
Ich habe nämlich leider keine Ahnung vom Fussball. Ich liebe ihn zwar, aber ich habe ihn nie gespielt und schon gar nie verstanden. Die letzte Taktik, die ich geistig durchdrungen habe, ist das 5-3-2. Bei Sensible Soccer.
Deswegen trifft mich das ganze Elend ja auch härter als euch. Euch jucken nur die Ohren. Aber ich bin auf Blindenführer angewiesen, bzw. verpasse schlicht etwas vom Spiel durch die Abwesenheit derselben.
Und auch nochmal zur Klarstellung: Zu schreiben „Mich widern Leute an …“ war ein Fehler. Eigentlich hätte ich „Mich widern Ansichten an, nach denen …“ usw.usf. schreiben sollen.
Mir kam der Kommentar sehr „von oben herab“ vor und dazu besteht m. E. kein Anlass. Zumal es in der TV-Berichterstattung keine Alternativen gibt, wir also nicht wissen können, ob nicht ein großer Teil der Zuschauer, hätten sie die Wahl, nicht auch eine weniger „marktschreierische“ Berichterstattung wählen würde.
Einmal habe ich es geschafft über die Chinesen Connection ein Spiel gänzlich ohne Kommentar zu genießen. Das war fast Stadionfeeling, nur halt die Zeitlupen zwischendurch, die ohne die Meinung eines anderen transportiert ihren Zweck erfüllten. Die Sendetechnik des Zweikanaltons ist keine Erfindung aus diesem Jahrtausend, wie lange sehne ich mich schon nach der Nutzung bei Fußballübertragungen. Einfach mal die Reifs, Bartels, Belas abschalten, die Stimmung des Spiels auf sich wirken lassen und den Freiraum genießen. Wäre so einfach.
„Von oben herab“ ist schon richtig, noch richtiger wäre wohl „kaltes, zynisches Kalkül gepaart mit Menschenverachtung und Berufsverfehlung“. Aber nicht bei mir, sondern den entsprechenden Entscheidern in den Medienhäusern in den Mund gelegt.
Male dir doch bitte mal im Geiste vor und hinter meinen kompletten Kommentar vom 21.12. Anführungsstriche. Dann wird er wohl verständlicher. Ich denke halt, dass man „im Bizz“ genau so wie dort dargestellt von genau mir denkt. Und mich auch so behandelt.
Auch ich denke, dass ein relevanter Teil der am Sport interessierten eine tiefgründigere Darstellung vorziehen würden. Aber so wie es läuft, läuft es halt betriebswirtschaftlich gesehen gut, und das ohne größere Anstrengungen; und daher werden wir auch so schnell keine Änderungen erleben.
Weil ich selber so wenig Ahnung von der Materie habe, bleibt mir im Grunde ja nicht mal der von Tumulder beschrittene Weg. Zumindest, solange die Kameraauschnitte immer so elendig nah an den emotionalen Geschehnissen und schönen Bildern kleben, benötige ich an sich einen Kommentator, der mir erklärt, was außerhalb des Bildauschnittes pasiert, und warum.
Aber ich habe mich so langsam damit abgefunden, ohne diese Hilfe auskommen zu müssen. Dieses und einige andere Blogs helfen mir dabei.
Zur Entspannung schaue ich dann NHL.
Vielleicht erinnert sich ja noch jemand an das Geschrei, als sich vor einigen Jahren Ralf Ragnick doch im Sportstudio erlaubt hatte, die taktische Ausrichtung mit Viererkette zu erläutern. Mann, war das ein Aufschrei! Was will der uns denn den Fußball erklären. Besserwisser war ja noch das harmloseste der Attribute, die ihm verpasst wurden. Das Ganze hallt bis heute nach.
Leider müssen Fußballbegeisterte, die die Feinheiten und Zusammenhänge verstehen wollen, autodidaktisch vorgehen. Von den bekannten Kommentatoren ist hier keine Hilfe zu erwarten.
Allerdings muss ich noch mal auf meinen Vergleich mit England hinweisen. Dort scheinen die Fußballfans augenscheinlich im Schnitt über weit besseres Fachwissen zu verfügen, als dies sich hierzulande darstellt. Sei es im Stadion oder vor der Glotze. Das dumme Geschwurbel eines, von jeglicher Fachkenntnis freien, Kommentators wie bei uns üblich, würde einen gewaltigen Aufschrei nach sich ziehen.
Dennoch habe ich hin und wieder gerade nicht so bekannte Kommentatoren erlebt, die auf fachlicher, emotionaler und sprachlicher Ebene wohltuend gut waren, die aber wohl in der internen Hierarchie der Sender nichts zu sagen haben. Ein Beispiel ist hier Uwe Morawe.
ich versuche ja immer und immer wieder, das, was ich höre, mit dem, was ich sehe, in einklang zu bringen – mir gehts wie sternburg, nie selber gespielt, ich kriege dinge wirklich gerne erklärt. insofern stört mich die zeitlupe von „das war ein abseits“ überhaupt nicht. ich seh mir „sport im osten“ oder die sportschau auch deshalb an, weil ich das spiel, das ich zuvor im stadion gesehen hab, nochmal in ruhe ankucken möchte; im stadion ist ja jedes abseitspfiff eine schiedsrichterseitige bevorteilung der gegnerischen mannschaft. manchmal kann man danach mit ner entscheidung sogar besser leben.
was aber völlig zum brechen ist, sind diese funktionslosen nahaufnahmen von wasauchimmer -egal ob zeitungsfoto oder bewegtbild. wenn nämlich, wie ich vermute, fußball ein spiel ist, in dem es um raumaufteilung geht, sollte man immer wissen, wo im raum ein spieler sich befindet. weiß man aber im fernsehen selten. und dann ist es wie bei columbo, für den kommentator total leicht, mir einen vom pferd zu erzählen, weil ich die ganze zeit die schuhe von ribery gezeigt bekommen hab. oder sylvie van der vaart. oder bundestrainer beim rauchen. (dies ist ein plädoyer für mehr totalen.)
Schau mal, Trainer. Das waren noch Zeiten, nicht? Die etwas andere Fußballberichterstattung…
http://sport.ard.de/sp/allgemein/adventskalender2008/adventskalender_24_video_winter.jsp